Wie Krähen im Nebel
anders.»
«Und was ist Ihnen an dem jungen Mann aufgefallen?»
«Naja – Oberklasse eben. Ein bisschen arrogant, wie mein Kollege schon sagte. Mit mir hat er auch nicht gesprochen. Ich hab gedacht, dass er vielleicht ein Filmschauspieler ist. Sogar gefragt hab ich ihn, weil ich ein Autogramm für meine Tochter haben wollte. Da hat er gelacht und den Kopf geschüttelt. Aber gesagt hat er immer noch nichts.»
Laura nippte an ihrem Bier. Es war eiskalt, der Schaum war längst zusammengefallen und es roch bittersüß nach Alkohol. Sie musste sich zwingen zu schlucken.
«Hat einer von Ihnen gesehen, ob der junge Mann Kontakt mit der Frau hatte, die später tot aufgefunden wurde?»
«Ja», sagte Kofler. «Ich glaube mich zu erinnern, dass sie nebeneinander am Fenster gestanden haben. Es ist keine sehr genaue Aussage, bitte zu entschuldigen. Muss ungefähr zwischen Trient und Bozen gewesen sein. Da kam einmal kurz die Sonne aus dem Nebel und alle schauten raus. Kann ja auch Zufall gewesen sein, nicht wahr?»
«Natürlich», sagte Laura. «Haben Sie eigentlich von der toten Frau gehört, die vor zwei Monaten an der Strecke Florenz – Bolognagefunden wurde? Aber das ist eine dumme Frage – natürlich haben Sie davon gehört, nicht wahr?!»
Kofler runzelte die Stirn und wollte gerade etwas antworten, als Bertolucci heftig nickte.
«Wissen Sie, was solche Meldungen für die Bahn bedeuten? Den Ruin bedeuten sie, das kann ich Ihnen sagen. Weil niemand mehr mit dem Zug fahren will. Wer den Nachtzug nimmt, wird hundertmal ermahnt, das Abteil abzuschließen, Wertsachen nur am Körper zu tragen, auf verdächtige Personen zu achten, niemals die Tür zu öffnen, wenn angeklopft wird, da der Schaffner seinen eigenen Generalschlüssel hat. Das schafft Vertrauen, nicht wahr, da fährt man richtig gern mit der Bahn! Wenn das so weitergeht, verlieren wir alle unsere Arbeitsplätze. Das sage ich schon lange, und ich kann es sehen, richtig sehen … Oder heute diese Bombendrohung …»
«Ja, Signor Bertolucci», seufzte Laura und hustete ein bisschen, denn der Zigarettenrauch in der kleinen Kneipe war beinahe so dicht wie der Nebel draußen. «Aber das alles hat doch nichts mit der toten Frau zu tun?»
«Doch, sicher, Commissaria. In den Zeitungen hat es gestanden, und Castelli kann es bestätigen: Sie war eine Nutte, und sie hat im Zug gearbeitet! Das muss man sich einmal vorstellen! Arbeitet im Eurocity! Das ist der Todesstoß für die Bahn! Ich sage es Ihnen!»
«Woher wissen Sie, dass die Frau im Zug gearbeitet hat?», fragte Laura.
«Castelli! Fragen Sie doch Castelli! Er hat es gesehen und auch den Kerl, mit dem sie’s getrieben hat! Sie haben sich gestritten, weil er nicht genug zahlen wollte!»
Laura wandte sich zu Fabio Castelli, der stumm in sein Bierglas starrte.
«Ist das wahr, Signor Castelli?»
Er nickte langsam, presste die Lippen zusammen und sagte endlich: «Der Fall ist gelöst. Dieser Kerl, ein Lastwagenfahrer aus Südtirol, sitzt jetzt im Gefängnis. In Mantua!»
«Hat jemand gesehen, wie er die Frau aus dem Zug warf?»
Castelli zuckte die Achseln.
«Du hast es gesehen, Castelli. Das ist doch wahr, oder?» Bertolucci sprach viel zu schnell.
«Nicht direkt!» Castelli schaute mit weit offenen Augen an ihnen vorüber ins Nirgendwo.
Die Stunde war um, Laura stand auf, zahlte an der Theke unter den verwunderten Blicken der Türken, die nicht fassen konnten, dass eine Frau drei Männer zum Bier einlud, und bat den Wirt, ein Taxi zu rufen. Doch es war aussichtslos. Noch immer schien die Stadt rund um den Bahnhof vor Unruhe zu schwirren. So zogen sie wieder zu Fuß durch den Nebel. Drei Männer mit ihren Rollkoffern und vorneweg Laura Gottberg, die sich fragte, ob deutsche Schaffner genauso seltsam waren.
Es gab keine Bombe. Jedenfalls hatte man trotz intensiver zweistündiger Suche noch keine gefunden.
«Vermutlich falscher Alarm wie immer», sagte der Einsatzleiter zu Laura, und seine Stimme klang so resigniert, dass sie ihn erstaunt ansah. Er schob seine Mütze etwas zurück und lehnte sich an den Bus, von dem aus er die Arbeit der Suchtruppe koordinierte. «Wissen Sie, was das kostet, werte Kollegin? Hundertausende, nur weil so ein Schwachsinniger sich mächtig fühlen will. Die gesamte Ordnung ist durcheinander, die Fahrpläne, der öffentliche Verkehr. Wir hatten in diesem Jahr vier Bombendrohungen, viermal blinder Alarm. Man kommt sich vor wie ein Idiot. Wünscht sich manchmal,
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