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Wie Krähen im Nebel

Wie Krähen im Nebel

Titel: Wie Krähen im Nebel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Felicitas Mayall
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an. «Wir sind ziemlich müde.»
    «Das ist mir klar, deshalb wird es auch nicht länger als eine Stunde dauern.»
    «Nun gut. Wir holen nur noch unser Gepäck aus dem Zug, dann kommen wir. Mein Stellvertreter wird beim Zug bleiben.»
    Und so zog Laura wenig später mit drei Männern unddrei Trolleys über die Hackerbrücke. Den jungen Polizisten Zwicknagel hatte sie zu seiner Einsatztruppe zurückgeschickt. Aus der Ferne klangen Feuerwehr- und Polizeisirenen, doch keine Explosion hatte bisher die Nachtruhe gestört.
     
    Sie landeten zwar in einer türkischen Kneipe, aber es gab Münchner Bier. In einer Ecke spielten Männer ein Brettspiel, an der Theke unterhielten andere sich laut und aufgeregt. Vermutlich sprachen sie über die Bombendrohung gegen den Hauptbahnhof, doch Laura konnte nichts verstehen. In einer halbwegs ruhigen Ecke fanden sie einen freien Tisch unter einem riesigen kitschigen Gemälde der Hagia Sofia.
    Es dauerte eine Weile, ehe der Wirt vier Halbe brachte. Offensichtlich unterbrach er nur ungern das Gespräch über die Sensationen des Abends.
    «Also, was wollen Sie wissen?», fragte Antonio Kofler, hob das Glas und nickte kurz in die Runde. Er nahm einen tiefen Schluck, wischte den Bierschaum von seiner Oberlippe und lehnte sich zurück.
    «Von Ihnen allen möchte ich wissen, ob Ihnen aufgefallen ist, dass jemand Koffer herumschleppte, die ihm nicht gehörten – und zwar zwischen Innsbruck und Rosenheim. Irgendwo auf dieser Strecke wurde die Frau ermordet, und der Täter musste ihren Koffer verschwinden lassen.»
    Kofler schüttelte langsam den Kopf und sah fragend seine Kollegen an, die ebenfalls mit den Schultern zuckten.
    «Nein, wir haben nichts gesehen. Wir können schließlich nicht jeden Koffer im Blick behalten!»
    «Wäre ja auch ein Glücksfall gewesen», seufzte Laura. «Da ist noch etwas. Wir haben an genau dem Abend, als die tote Frau entdeckt wurde, einen Mann neben den Gleisengefunden. Und es sieht so aus, als wäre er aus genau Ihrem Zug gefallen – oder gestoßen worden. Aber das wissen Sie ja vermutlich inzwischen.»
    Kofler nickte und umfasste mit beiden Händen sein Bierglas. «Wie sah der denn aus?»
    «Gut aussehender junger Mann, ungefähr Mitte zwanzig, blond, etwas längeres Haar, sehr teure Kleidung   – Lederjacke mit Lammfell, Armani-Jeans, edle Stiefel. Ich denke, dass er auffallen musste. Leute aus der Oberklasse fallen meistens auf.»
    Bertolucci fing plötzlich an zu nicken, nickte und nickte wie ein Truthahn vor dem Kollern, trank etwas Bier, schluckte zweimal und sagte: «Jetzt, jetzt kommt es. Ich habe ihn gesehen, nicht so ganz deutlich. Das Bild ist verschwommen, weil ich nicht mit ihm gesprochen habe. Er hat mich auch nicht angesehen, sondern den Kopf weggedreht. Die Lederjacke lag neben ihm und er hielt mir seinen Fahrschein hin, schaute mich aber nicht an. Arroganter Bursche, dachte ich. Er fuhr in der ersten Klasse. Ja, jetzt erinnere ich mich genau, er trank Coca-Cola, hatte die Beine auf den Sitz gelegt, und ich sagte ihm sehr höflich, dass es nett wäre, wenn er eine Zeitung unterlegen könnte oder eventuell die Schuhe ausziehen   …»
    «Halt», rief Laura. «Bitte, Signor Bertolucci! Er hatte also einen Fahrschein. Wissen Sie noch, von wo nach wo?»
    Bertolucci zog den Kopf ein und wischte Biertropfen vom Tisch. «Ich bin ziemlich sicher, dass er nach München wollte, aber wo er herkam   … daran erinnere ich mich nicht. Nicht aus Rom, nein, aus Rom kam er nicht. Könnte sein, dass er in Bologna oder Verona eingestiegen ist. Eher in Bologna   … haben Sie denn seinen Fahrschein nicht gefunden?»
    «Nein», sagte Laura. «Keinen Fahrschein, keinen Ausweis und kein Gepäck. Genau wie bei der toten Frau. Und das ist doch seltsam, nicht wahr?»
    «Was ist mit ihm? Ist er auch tot?» Der Schaffner Bertolucci reckte aufgeregt seinen Kopf, schaute Laura aber nicht an, sondern auf die Hagia Sofia im Abendlicht.
    «Nicht ganz», antwortete Laura langsam, «aber es geht ihm schlecht. Er leidet unter Gedächtnisverlust und ist noch nicht außer Lebensgefahr.» Sie log, doch etwas im Verhalten Bertoluccis hatte sie dazu bewogen. Jetzt wandte sie sich an den zweiten Schaffner, Fabio Castelli, fragte auch ihn, ob er den jungen Mann gesehen hätte.
    «Ja, natürlich!», sagte Castelli. «An Reisende in der ersten Klasse erinnert man sich immer besser als an andere. Es gibt nicht so viele von ihnen, und die meisten sind irgendwie auffälliger, einfach

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