Wie Krähen im Nebel
dass es wirklich knallen würde.»
«So?», murmelte Laura gedehnt. «Und wer ist man?»
«Naja, alle hier!», stieß er hervor. «Alle, die hier dauernd verscheißert werden.»
«Wissen Sie, was Sie da sagen?»
«Klar! Sie müssen es ja nicht wortwörtlich nehmen. Frust ablassen nennt man das! Oder wollen Sie es melden, Frau Hauptkommissarin?»
Laura machte eine vage Handbewegung.
«Wann wird der S-Bahn -Betrieb wieder aufgenommen?»
«Kann man nicht genau sagen. Wahrscheinlich erst morgen früh.»
«Sie haben eine Vorliebe für das Wörtchen
man,
nicht wahr?»
«Wie meinen Sie das?»
«Genauso, wie ich es gesagt habe. Erfolgreiche Suche noch, vielleicht knallt’s ja doch!» Laura drehte sich um und ging Richtung Karlsplatz davon. Trotz Kälte und Nebel drängten sich Neugierige hinter den Absperrungen, starrten sie an, als sie über den Bahnhofsplatz auf sie zukam. Lauras Handy klingelte, nachdem sie unter dem rotweißen Plastikband durchgeschlüpft war.
«Ja?», sagte sie.
«Warum meldest du dich immer mit ja? Das ist eine schreckliche Angewohnheit. Aber ich bin froh, deine Stimme zu hören. Stell dir vor: Es gab eine Bombendrohung gegen den Hauptbahnhof. Ich hoffe, du bist in deinem Bett, Laura!»
«Ja, Vater. Ich bin im Bett.»
«Stimmt das auch? Was sind das für Geräusche im Hintergrund?»
Laura deckte die Sprechmuschel mit ihrer Hand ab, denn gerade fuhr mit kreischendem Martinshorn ein Einsatzwagen an der Absperrung vorbei.
«Ach, das ist draußen auf der Straße! Ich schlafe bei offenem Fenster.»
«Ich glaube dir nicht, Laura!» Die Stimme des alten Gottberg wurde sehr leise. «Du hast dir angewöhnt, mich zu belügen, weil du mich nicht mehr ernst nimmst! Das solltest du nicht tun! Ich weiß genau, dass du vor dem Bahnhof stehst! Weiß der Teufel, warum!»
«Vater! Ich nehme dich sehr ernst! Aber du machst dir völlig unnötige Sorgen. Es gibt hier keine Gefahr.»
«Wenn ich dir glauben soll, dann musst du zugeben, dass du nicht im Bett liegst!»
Laura drängte sich durch die Menschen und lehnte sich endlich in einen Hauseingang.
«Gut. Ich liege nicht im Bett, sondern stehe in einem Hauseingang zwischen Bahnhof und Stachus. Das mit der Bombendrohung war blinder Alarm, und alles ist in Ordnung!»
Sie lauschte, doch es blieb lange still. Endlich hörte sie ein Räuspern, dann ein Husten.
«Und was, zum Teufel, machst du bei einer Bombendrohung am Bahnhof? Das fällt doch nicht in die Zuständigkeit des Morddezernats, oder?»
«Nein, tut es nicht. Ich war zufällig dort, weil ich in einer anderen Sache ermittelt habe.»
Wieder musste sie lange auf eine Antwort warten.
«Geh endlich nach Hause zu deinen Kindern. Es ist eine Schande, dass du dich so in Gefahr begibst! Ich war immer gegen diesen idiotischen Beruf! Deine Mutter auch! Gute Nacht!»
Laura atmete tief durch und schloss kurz die Augen. Das war die Seite ihres Vaters, die sie nicht gut ertragen konnte. Ihr war, als hätte er sie mit diesen harschen Worten geradewegs in die Küche gescheucht – an den Herd, wo Frauen eigentlich hingehörten. Es kam ihr vor wie eine unerwarteteOhrfeige. Sie hasste es, wenn er sie wie ein kleines Mädchen behandelte – so, als wäre sie noch immer sein Besitz, jemand, den er formen konnte.
Sie wusste genau, dass er zwar ihr abgebrochenes Jurastudium hingenommen hatte, aber ihre Entscheidung für die Kriminalpolizei noch immer tief missbilligte. Wenn es nach ihm gegangen wäre, hätte sie den Beruf einer Lehrerin ergriffen. Ihre Mutter war Lehrerin gewesen, aber sie hatte ihren Beruf aufgegeben und irgendwann nur noch gemalt. Toskanische Landschaften. Lauras Vater liebte ihre Malerei. Für ihn war es die ideale Beschäftigung für eine Frau und natürlich das Kochen, das Lauras Mutter Giovanna ebenfalls besonders gut beherrscht hatte.
Oh, Mama, flüsterte Laura, du hast nur für ihn gelebt, nicht wahr? Und jetzt ist er dir böse, dass du ihn verlassen hast, und mir auch.
Sie verkroch sich noch tiefer in den Schatten des Hauseingangs. Es dauerte ein paar Minuten, bis sie sich wieder gefasst hatte und ihren Heimweg fortsetzen konnte. Erst am Sendlinger Torplatz erwischte sie endlich ein Taxi, fand die Wohnung still und dunkel, die Betten ihrer Kinder leer. Auf dem Anrufbeantworter wartete die Nachricht, dass Luca und Sofia bei ihrem Vater übernachten würden. Laura ließ sich aufs Bett fallen, schlüpfte nur aus den Stiefeln und starrte an die Decke.
Jetzt, dachte sie, wäre es schön,
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