Wie Krähen im Nebel
sicher, dass die Tote im Zug aus Rom in irgendeinem Zusammenhang mit Menschenhandel stand. Vor dem Eingang zur Bahnhofshalle blieb sie stehen und ließ die Menschenströme an sich vorüberziehen, schaute auf die Taxis, die Straßenbahnen, die Autos und dachte, dass sie solche Fälle nicht mochte. Entfremdete Fälle mit entfremdeten Menschen.
Endlich wandte sie sich entschlossen um, kaufte sich eine Zeitung und setzte sich in eines der Edelbistros gegenüber den Gleisen, eines mit Bedienung und Wärmelampen. Sie bestellte ein Krabbensandwich, Salat und ein Glas Weißwein, genoss die wohlige Wärme und den Ausblick auf das Bahnhofsgewühl. Noch eine Stunde bis zur Ankunft des Eurocity.
Zerstreut überflog sie ein paar Artikel und Überschriften in ihrer Zeitung, doch ihr Blick glitt immer wieder ab und wanderte zu den Menschen, die aus den ankommenden Zügen strömten oder in den wartenden verschwanden. Und plötzlich konnte sie die türkischen, griechischen, kroatischen oder süditalienischen Arbeiter verstehen, die rauchend und redend in kleinen Gruppen herumstanden und sich hier der Heimat irgendwie näher fühlten als draußen in den nebligen Straßen. Denn hier fuhren die Züge ab. Nach überallhin.
Eine Zwischenwelt, dachte Laura. Niemand ist wirklich gegenwärtig. Alle sind schon unterwegs oder noch nicht ganz da. Sie nippte am Weißwein und fand, dass der Bahnhof im Augenblick genau der richtige Ort für sie war. Nach dem Gespräch mit Angelo fühlte auch sie sich in einer Zwischenwelt, gar nicht so verschieden von den Gastarbeitern. Es gab einen Nachtzug über Florenz nach Rom. In Gedanken konnte sie ihn nehmen, in Florenz umsteigen und morgen gegen Mittag in Siena sein.
Stattdessen aß sie das Krabbensandwich, den Salat, las noch ein bisschen in der Zeitung, überquerte kurz nach neun die Ankunftshalle und gesellte sich zu den Menschen, die auf die Ankunft des Eurocity aus Rom warteten. Nicht weit von Laura stand eine dicke Frau mittleren Alters in Overall und Schürze, die einen Eimer mit Putzzeug an sich gedrückt hielt. Die Frau sah aus, als hätte jemand sie erschreckt, und Laura wollte sie schon ansprechen. Vielleicht war die dicke Frau eine von Baumanns unsichtbaren Putzfrauen.
Doch in diesem Augenblick kam der Zug in Sicht, und beinahe gleichzeitig entstand Unruhe an den Eingängen zur Halle. Laura wandte sich um, sah unzählige Polizisten und Grenzschutzbeamte ausschwärmen. Dann erklang eine betont ruhige Männerstimme über die Lautsprecher: «Bitte verlassen Sie langsam den Bahnhof. Es besteht keine Eile.Eine reine Vorsichtsmaßnahme. Bitte verlassen Sie alle den Bahnhof!»
Natürlich brach Panik aus. Seit es überall auf der Welt Terroranschläge gab, verfielen die Menschen leicht in Panik. Die Polizisten versuchten das Chaos der Flüchtenden zu lenken, stellten sich den Schnellsten entgegen, beruhigten, zeigten Wege, hoben eine alte Frau auf, die zu Boden gestoßen worden war. Immer wieder rief der Mann am Lautsprecher zu Ruhe und Besonnenheit auf.
Und wie durch ein Wunder leerte sich die riesige Halle, die eben noch voller Menschen gewesen war. Tauben, die kurz zuvor wirr umhergeflattert waren, ließen sich auf dem Boden nieder und suchten mit nickenden Köpfen nach Krümeln, als wäre nichts geschehen. Die Imbissbuden lagen verwaist, die Bistros waren wie leer gefegt, und Laura stand allein am Bahnsteig zwölf.
Der Eurocity kam auch nicht. Rückwärts entschwand er wieder nach draußen; die anderen Züge waren längst abgefahren oder verlassen worden. Ein junger Grenzschutzbeamter rannte auf Laura zu, rief schon von weitem, dass sie schnellstens verschwinden solle, blieb keuchend vor ihr stehen.
«Sind Sie taub? Haben Sie nicht die Lautsprecherdurchsagen gehört?»
«Doch!», sagte Laura. «Was ist denn eigentlich los?»
«Das spielt jetzt keine Rolle! Sie müssen raus hier!»
«Ich geh gleich.» Laura zog ihren Dienstausweis aus der Jacke. «Also, was ist los?»
Der junge Mann tippte mit einem Finger an seine Mütze und wandte sich zum Gehen.
«Bombenalarm!», sagte er. «Ich werde jedenfalls verschwinden. Hab keine Lust, in die Luft zu fliegen. Der Anruf klang ziemlich ernst, sagte unser Einsatzleiter.»
«Ich hab einen anderen Vorschlag. Ich möchte, dass Sie mich über die Gleise begleiten. Ich versuche nämlich einen Zug zu verfolgen.»
«Was?»
«Sie haben ganz richtig gehört!»
Der junge Polizist runzelte die Stirn und kratzte sich am Haaransatz.
«Los!», rief Laura.
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