Wie Krähen im Nebel
durch den Spion schaute und die Luft anhielt, denn die Schritte hatten sich nicht entfernt.
«Hallo!», sagte Laura. «Würden Sie bitte die Tür öffnen!»
Kein Laut war zu hören. Baumann klopfte. «Bitte öffnen Sie. Hier ist die Polizei. Wir müssen dringend mit Ihnen sprechen.»
Noch immer nichts.
Laura hob den Briefschlitz leicht an.
«Frau Ada. Ich weiß, dass Sie da sind. Sie haben nichts zu befürchten. Es geht nicht um Sie, sondern wir brauchen Ihre Hilfe. Bitte helfen Sie uns!»
Stille. Laura war es, als hörte sie ein Herz klopfen. Endlich ein Rascheln, das Klirren einer Sicherheitskette, die allerdings eingehängt und nicht gelöst wurde. Dann öffnete sich die Tür einen Spaltbreit, und das halbe Gesicht einer jungen Frau erschien im Halbdunkel. Ein schreckgeweitetes Auge musterte Laura und Baumann.
«Ich nix wissen. Ganzen Tag zu Hause mit Kind.»
«Bitte», sagte Laura und zeigte ihren Dienstausweis. «Sie müssen wirklich keine Angst haben. Wir wissen, dass Sie ab und zu am Bahnhof arbeiten. Züge reinigen …»
«Ich nix am Bahnhof arbeiten», rief die Frau. «Wer sagt, ich arbeiten am Bahnhof?»
«Die Firma, von der Sie bezahlt werden, Frau Ada. Wir wissen auch, dass Sie schwarz arbeiten, aber Sie werden keine Schwierigkeiten bekommen, wenn Sie mit uns sprechen.»
Das eine dunkle Auge mit langen Wimpern musterte Laura mindestens zwei Minuten lang. Irgendwo im Hintergrund rief ein Kind. Das Auge verschwand und Sefika Ada antwortete dem Kind auf Türkisch. Dann erschien das Auge wieder.
«Wer sagt, ich bekomme keine Schwierigkeiten?»
«Ich sage das, Frau Ada.»
Die langen Wimpern senkten sich über das Auge, dann löste eine Hand die Kette, und die Tür öffnete sich. Langsam traten Laura und Baumann ein, folgten der jungen Frau den langen Flur entlang, der mit einem Kunststoffläufer ausgelegt war, dessen Muster Laura an die fünfziger Jahre erinnerte. Sefika Ada führte sie ins Wohnzimmer, wies auf eines von drei riesigen Sofas, die an den Wänden aufgereiht waren. Auf den Rückenlehnen der Sofas saßen Puppen mit rosaroten Rüschenröcken. Große Teppiche mit Schäferszenen bedeckten die Wände, außerdem gab es noch eine hohe Eichenholzschrankwand, in der ein Fernseher und allerlei Nippes untergebracht waren. An der vierten Wand stand der Ölofen, zu dem offensichtlich die Tropfenspur führte. Auch er roch ziemlich stark.
Als Laura sich setzte, entdeckte sie einen kleinen Jungen, der vorsichtig um eines der Sofas lugte. Ihre Blicke begegneten sich für den Bruchteil einer Sekunde, dann zog er blitzschnell seinen Kopf wieder ein und versteckte sich.
Sefika Ada blieb in der Mitte des Zimmers stehen. Ein türkisfarbenes Kopftuch war locker um ihr Haar geschlungen. Sie trug einen langen schwarzen Pullover und weite dunkelblaue Hosen. Ihre Füße steckten in türkisfarbenen Socken und versanken fast in dem tiefen flauschigen Teppich.
«Sefika Ada, das sind Sie doch?», fragte Laura.
Die junge Frau nickte und sah zum Fenster hinaus.
«Sie haben am 21. November im Eurocity aus Rom gearbeitet, nicht wahr?»
Sefika schüttelte den Kopf.
«Nein? Dann hat uns Ihre Firma falsch informiert?»
Wieder schüttelte Sefika den Kopf.
«Ich krank geworden. Arbeiten angefangen, dann krank geworden und nach Hause gegangen.»
Peter Baumann räusperte sich und begann mit so sanfter Stimme zu sprechen, dass Laura ihn erstaunt ansah.
«Sie haben in den Wagen 11 bis 14 Dienst gehabt, nicht wahr? Kann es sein, dass Sie etwas bemerkt haben, das nicht normal war? Und deshalb waren Sie so klug und sind gegangen?»
Sefika drehte sich heftig um und ballte die Fäuste.
«Ich gegangen, weil nix gesehen!»
Laura und Baumann unterdrückten ein Lächeln.
«Da war etwas hinter der Toilettentür im Wagen zwölf! War es das, was Sie nicht gesehen haben?», fragte Laura.
«Ich nix gesehen. Ich gleich gegangen, wie Türe nicht aufging.»
«Gut, Frau Ada. Ich glaube Ihnen, dass Sie nichts gesehen haben. Darum geht es auch gar nicht. Sie wissen wahrscheinlich inzwischen, dass hinter der Tür eine tote Frau lag.»
Sefika nickte langsam. Ihr kleiner Sohn flitzte hinter dem Sofa hervor und versteckte sich zwischen den weiten Hosenbeinen seiner Mutter.
«Hat Rosl Meier Sie angerufen?»
Wieder schüttelte Sefika den Kopf.
«Woher wissen Sie es?»
«Von türkisch Frau. Sie auch putzen am Bahnhof.»
Laura lächelte dem Kleinen zu, der zwischen den Hosenbeinen hervorschaute.
«Frau Ada, was wir von
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