Wie Krähen im Nebel
mich geärgert. Außerdem sage ich dir auch nicht immer alles, was ich weiß. Manchmal ist eigenständige Arbeit ganz angenehm, nicht wahr?»
Laura beschloss, nicht auf diese Bemerkung einzugehen.
«Die Frau hat mir eine Kontaktperson in Florenz genannt. Offenbar existiert eine Geheimorganisation, die verschleppte Frauen aus allen möglichen Ländern herausschleust. Sie hat sich ziemlich unklar ausgedrückt, aber es sieht so aus, als bereiteten ihr die beiden Morde Sorgen. Sie ist der Meinung, dass es sich um ehemals verschleppte Frauen handelte, die ausgestiegen sind und von dieser mysteriösen Organisation nach München geschickt wurden, um dann irgendwie weiter vermittelt zu werden. Diese beiden Frauen kamen allerdings nie an – andere schon. Es klingt ziemlich verwirrend, aber mehr weiß ich auch nicht.»
«Wohin sollten die denn weiter vermittelt werden? In andere Bordelle? Heftig genug sah diese Dame ja aus!» Baumannließ sich nicht anmerken, ob er verletzt oder verärgert war, machte einfach auf sachlich.
«Sie trat eher auf wie eine Hochkommissarin für Menschenrechte», erwiderte Laura. «Der Name, den sie mir gab, soll eine Art Test sein. Damit will sie meine Zuverlässigkeit prüfen. Bedingung für weitere Informationen ist, dass ich unabhängig von den italienischen Kollegen ermittle und auch sonst keinem was sage. Ganz besonders dir nicht, mein Lieber. Dein Blick auf ihre langen Beine ist unangenehm aufgefallen!»
«Na ja.» Baumann räusperte sich. «Ich kann es ihr nicht verdenken. War eine ganz spontane Abneigung zwischen uns – von beiden Seiten. Was …», er lächelte plötzlich sehr freundlich, denn die Wirtin näherte sich mit einem großen Teller voller Schmalznudeln. «Danke! Die sehen wirklich köstlich aus!»
«San’s aa!», sagte die Wirtin. «An Guat’n!»
«Danke. Also, was gedenkst du zu tun, Laura?»
«Wir müssen genau herausfinden, was die italienischen Kollegen über die tote Frau wissen. Und ich möchte diese Person aufsuchen, die mir die Frau genannt hat. Ohne die italienischen Kollegen. Aber auch nicht allein, weil ich kein zu großes Risiko eingehen möchte. Vielleicht kommt jetzt deine große Chance, doch mit mir nach Italien zu fahren, nachdem es letztes Mal nicht geklappt hat.»
«Glaub bloß nicht, dass ich mich in ein Neutrum verwandelt habe, nur weil ich neulich mit einem Damenmantel erschienen bin. Ich bin noch immer bereit, den Kampf mit deinem Commissario Guerrini aufzunehmen.»
«Gut», sagte Laura. «Dann bleibst du eben zu Hause und ich ermittle mit Guerrini. Der ist in Florenz auch nicht zuständig – das passt hervorragend zu meiner illegalen Aktion.»
Baumann, der gerade in eine mit Puderzucker bestäubte Schmalznudel beißen wollte, hielt mit halb offenem Mund inne.
«Und wenn ich Kriminaloberrat Becker von deinen Geheimplänen erzähle?»
«Das machst du nicht, Peter. Dazu kenn ich dich zu gut. Vielleicht überlege ich es mir nochmal und du kannst doch mitkommen. Dann hast du Gelegenheit, in aller Ruhe die Videoaufnahmen und Fotos der Ermordeten anzusehen und die Protokolle übersetzen zu lassen. Das ist doch eine schöne Aufgabe, oder?»
Kommissar Baumann biss in die Schmalznudel und wischte den Puderzucker von seinem Schnurrbart.
«Ist das deine Rache für mein ungebührliches Betragen gegenüber der geheimnisvollen Unbekannten?»
«Nein», lächelte Laura, «eher dafür, dass du bereit wärst, deinen Damenmantel mit deiner Vorgesetzten zu betrügen.»
Und sie lachte laut, als Baumann sich an seiner Schmalznudel verschluckte.
Am späten Nachmittag senkte sich wieder dichter Nebel über die Stadt. Laura Gottberg war gerade auf dem Weg ins Krankenhaus und dachte, dass sie noch nie eine so lang andauernde Zeit des Nebels erlebt hatte. So musste es in manchen Küstenstädten sein – in London, Venedig, Amsterdam. Laura war müde, streifte in Gedanken nur flüchtig die Vorstellung von Venedig im Nebel. Vielleicht würde sie es so erleben. Im Nebel. Ende Dezember. Zusammen mit Angelo Guerrini, der ihr in diesem Augenblick ebenfalls wie eine Gestalt im Nebel vorkam. In den letzten Stunden hatte sie gemeinsam mit Baumann die E-Mails der italienischen Kollegen gelesen, Informationen verglichen, Verbindungen zwischen den beiden Fällen gesucht.
Die Tote, die man neben den Gleisen südlich von Bologna gefunden hatte, war offensichtlich aus dem fahrenden Zug gestoßen worden und hatte sich das Genick gebrochen. Die Italiener hatten einen
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