Wie Krähen im Nebel
Florenz aus dem Bahnhof rollte, leere Gleise hinter sich lassend, fühlte sie sich einsam und irgendwie ausgesetzt – obwohl Baumann da war.
Bei ihrer Ankunft am nächsten Morgen um sechs in München beschloss Laura, gleich ins Polizeipräsidium zu fahren und nicht erst nach Hause. Sie hatte so ein Gefühl, das ihren Sohn Luca betraf … wollte ihn nicht mit einer Freundin überraschen. Sie empfand eine merkwürdige Scheu und Achtung vor den Erfahrungen, die er offensichtlich gerade machte.
Gemeinsam mit Baumann hatte sie sehr genau die Zusammensetzung der Schaffner und Speisewagenmannschaft überprüft, doch von ihren alten Bekannten war niemand dabei gewesen.
Sie hatten keinen Liegewagenplatz oder Schlafwagen ergattert, sondern mussten im Sitzen schlafen. Entsprechend müde und zerschlagen fühlten sie sich nach ihrer Ankunft. Baumann wollte nach Hause und duschen, deshalb wanderte Laura allein mit ihrem Koffer auf Rollen vom Karlsplatz durch die Fußgängerzone zur Ettstraße. Es war noch dunkel und die Straßen leer. Nur ein paar Weihnachtsbeleuchtungen glitzerten hier und dort. Der Nebel hatte sich in höhere Regionen zurückgezogen und verhüllte nur noch die Türme des Frauendoms.
Als Laura endlich in ihrem kleinen Büro ankam, wusch sie ihr Gesicht mit kaltem Wasser und betrachtete sich im Spiegel über dem Waschbecken. Sie war blass und hatte dunkle Ringe unter den Augen. Seufzend kramte sie in ihrem Lederrucksack nach ihrer Schminktasche und zog sich die Lippen nach, um wenigstens etwas Farbe in ihr Gesicht zu bringen. Plötzlich fiel ihr ein, dass der alte Gottberg kein einziges Mal angerufen hatte, während sie unterwegs war. Er, der sonst mit absoluter Zuverlässigkeit in den unmöglichsten Situationen störte.
Beunruhigt schaute sie auf die Uhr. Zehn vor sieben.
Sie überlegte, ob er um diese Zeit schon wach sein könnte, und ihr wurde bewusst, dass sie die Lebensgewohnheiten ihres Vaters nicht mehr kannte. Sie hatte keine Ahnung, wann er normalerweise ins Bett ging oder aufstand. Nein, sie würde ihn nicht anrufen. Ein Anruf am frühen Morgen könnte ihn erschrecken … sie würde sich einen Dienstwagen schnappen und zu ihm fahren!
Zehn Minuten später war sie bereits auf dem Weg, hielt nur kurz bei einer Bäckerei, um frische Semmeln zu kaufen, und stand endlich vor seiner Haustür. Vom Englischen Garten herüber hörte sie eine Ente quaken, die offensichtlich im Eisbach schwamm, jenem kleinen Gewässer, das hinter den Gärten der Wohnanlage vorüberfloss.
Laura öffnete die Haustür mit ihrem eigenen Schlüssel, stieg langsam zum zweiten Stock hinauf und lauschte an der Wohnungstür ihres Vaters. Es war ganz still hinter der Tür, und ihr Herz tat ein paar seltsame Sprünge außerhalb des normalen Rhythmus. Dann aber drang ein Husten und Räuspern zu ihr heraus, schlurfende Schritte mit der typischen leichten Verzögerung, die von seinem Hinken herrührte. Und wieder tat Lauras Herz einen kleinen Sprung. Sie atmete tief ein und berührte flüchtig den Klingelknopf, sodass nur ein verwaschenes Zirpen erklang.
Das vertraute Hinken näherte sich der Tür, Laura sah ihren Vater vor sich, wie er durch den Spion schaute, das eine Augen zusammenkniff, lächelte vor sich hin und zu ihm in den Spion.
«Ja, so was!», hörte sie ihn rufen. Die Sicherheitsvorrichtungen klirrten und klapperten, ein lauter Fluch, und endlich flog die Tür auf. Der alte Gottberg stand da, mit ausgebreiteten Armen, zerzausten Haaren, in seinem alten ausgefransten Bademantel, den er liebte und deshalb den neuen seit zwei Jahren im Schrank hängen ließ.
«Laura, ragazza mia!», rief er so laut, dass seine Worte im Treppenhaus widerhallten. «Komm rein, ich hab gerade Kaffee gemacht, richtigen italienischen Kaffee! Warum bist du hier? Ich dachte, du bist in Florenz? Ist etwas nicht in Ordnung?» Er zog sie in die Wohnung und musterte besorgt ihr Gesicht. «Du bist so blass, geht es dir nicht gut?»
«Ich bin erst vor eineinhalb Stunden mit dem Nachtzug aus Mantua angekommen!»
«Mantua? Ich dachte, du wolltest nach Florenz!»
«Da war ich vorher. Es war ganz interessant, und ich denke, dass wir ein winziges Stückchen weitergekommen sind!»
«Aber du wolltest doch drei Tage in Florenz bleiben? Ist etwas mit deinem Commissario schief gelaufen?» LaurasVater stand mit gerunzelten Augenbrauen in der Küchentür.
«Nein, nein. Es ist alles in Ordnung. Er war sehr hilfreich bei diesen Ermittlungen!»
«Das
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