Wie Krähen im Nebel
nie schwarz auf weiß g’sehen. Nur vorg’lesen ham’s es mir. War so was wie Casa oder Casili. I hob’s ned genau verstanden.»
«Na ja, wir werden es herausfinden. Danke nochmal, Signor Tiefenthaler.» Guerrini stand auf, Laura und Baumann folgten seinem Beispiel. Das Polizistenstandbild an der Wand hinter der Glasscheibe erwachte zum Leben und öffnete die Tür, um Tiefenthaler hinauszuführen.
«Es wäre keine gute Idee, Einblick in die Akten zu verlangen, die hier im Gefängnis vorliegen. Sonst kommen sie uns doch noch auf die Schliche!», meinte Guerrini leise, als sie ihrem eigenen Wärter durch die braungrauen Flure und Treppenhäuser zum Ausgang folgten.
Während sie vor den Gefängnismauern auf das Taxi warteten, das der Pförtner gerufen hatte, blickte Guerrini sich um und schüttelte sich.
«Keine gute Gegend bei Nebel!», sagte er. «Sieht aus wie der Eingang zur Unterwelt.»
Im Taxi wandte er sich an Baumann, bat Laura um sprachliche Assistenz. «Haben Sie den Namen des Schaffners in den Unterlagen gesehen, die Sie in Florenz studiert haben?»
«Ja!», erwiderte Baumann. «Der Name war Castelli, Fabio Castelli. Es war einer der Schaffner, mit denen Laura nach dem Mord in München gesprochen hat.»
«Bene!»
, lächelte Guerrini. «Dann habt ihr jetzt einen neuen Ansatzpunkt!»
Laura und Baumann entschlossen sich noch am gleichen Abend, mit dem Nachtzug nach München zurückzufahren. Guerrinis Zug nach Florenz ging eine halbe Stunde vor dem Eurocity. Es blieb gerade noch Zeit für eine Pizza in der Nähe des Bahnhofs von Mantua. Baumann schien schlechte Laune zu haben, sagte kaum etwas, und als er zur Toilette ging, fragte Guerrini Laura, was mit dem jungen Kommissar los sei.
«Ich weiß nicht», antwortete sie. «Wahrscheinlich merkter, dass du ihn nicht besonders magst. Die Deutschen haben eine ungeheure Sehnsucht danach, geliebt zu werden, Angelo. Vor allem von Angehörigen anderer Nationalitäten … vielleicht ist er aber auch nur sauer, weil wir die Nacht miteinander verbracht haben.»
Guerrini nahm einen großen Schluck Mineralwasser und sah Laura auf eine Weise an, dass sie meinte, er schaue durch sie hindurch, auf etwas, was hinter ihr lag, als würde er dort ihre wahre Gestalt erkennen.
«Sì»
, sagte er langsam. «
Una notte.
Es wäre schön gewesen, wenn wir zwei Nächte gehabt hätten. Nicht viel verlangt nach über zwei Monaten, nicht wahr?»
«Es gab früher ein Hotel an der Piazza von Mantua, das hieß ‹Due Guerrini ›. Ich habe einmal mit meinen Eltern dort übernachtet. Es war eines dieser alten Hotels mit handgehäkelten Decken über den Betten, Frisiertischen und Wasserkrügen. Es ist noch da. Als wir vorhin über die Piazza fuhren, habe ich es gesehen. Es hat mich glücklich gemacht, dass es noch existiert!»
Guerrini schob das Glas auf der Papiertischdecke hin und her, so lange, bis sie einen Riss bekam, weil ein bisschen Wasser sie aufgeweicht hatte.
«Du magst es nicht, wenn ich mich beklage, nicht wahr?», sagte er endlich.
«Nein!», erwiderte Laura leise. «Wenn wir allein wären, würde ich gern mit dir ins ‹Due Guerrini › gehen. Aber wir sind nicht allein, und das Hotel ist sicher nicht mehr so romantisch wie früher. Wir sehen uns in zwei Wochen, Angelo. Ab 30. Dezember werden wir allein sein!»
«Für fünf Tage!» Er lehnte sich zurück.
«Ja, für fünf Tage! Und ich freu mich auf diese fünf Tage, weil ich schon lange nicht mehr so viele Tage für mich und mein Leben hatte!»
Guerrini antwortete nicht. Er dachte an die vielen Tage, die er für sich allein hatte – für sich und für seine innere Wüste, die sehr still und leer war. Ungefähr wie die Bilder vom Mars, die er in der Zeitung gesehen hatte.
«Bene!»
, sagte er. «Fünf Tage. Ich freu mich auch darauf.»
Peter Baumann kam zurück, und sie mussten überstürzt aufbrechen, denn die Zeit für Guerrinis Zug nach Florenz wurde knapp. Atemlos war dieser Abschied, irgendwie unfertig – wie ihre ganze Begegnung in Florenz. Laura riss den Arm hoch, als sie sein Gesicht hinter dem Abteilfenster sah, biss die Zähne zusammen, weil plötzlich Tränen in ihre Augen traten.
Nicht weinen, dachte sie. Jetzt bloß nicht vor Baumann weinen!
Sie drängte ihre Gefühle so heftig zurück, dass sie einen Krampf in der Kehle bekam. Dann fuhr der Zug an, Laura sah Guerrinis Hand winken, hatte ihm nicht einmal einen Abschiedskuss geben können, weil Baumann da war. Als der Zug nach
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