Wie man die richtige Arbeit für sich findet
ungläubigen Fachwelt die Beweise für seine Existenz vorlegen konnte. Die Konturen dessen, was zu ihrer Lebensaufgabe werden sollte, traten nach und nach hervor, ohne dass sie ein Anruf aus dem Himmel erreicht hätte. Marie Curies Berufsweg ist daher beispielhaft für den typischen Verlauf: Plötzliche Epiphanien kommen gelegentlich zwar vor, häufiger aber kristallisiert sich eine Berufung erst langsam heraus, von uns beinahe unbemerkt. 57
Mit einem großen Mysterium hat das alles also nichts zu tun. Wenn wir uns einen Beruf wünschen, der auch eine Berufung ist, sollten wir nicht passiv herumsitzen und darauf warten, bis er irgendwie aus dem Nichts auftaucht. Wir müssen die Initiative ergreifen und uns bemühen und ihn heranreifen lassen, wie Marie Curie es tat.
Und wie gelingt uns das? Einfach dadurch, dass wir uns in eine Arbeit hineinknien, die uns durch Sinn, Flow und Freiheit tiefe Erfüllung vermittelt (ein Vierzehnstundentag muss trotzdem nicht sein). Mit der Zeit kann ein konkretes, uns begeisterndes Ziel aufkeimen, wachsen und schließlich erblühen.
Eine Nachricht von Sorbas
Viele Menschen, die eigentlich ihren Beruf wechseln wollen, schrecken vor der letzten Hürde zurück. Monatelang haben sie das Pro und Contra der Optionen abgewogen, vielleicht sogar ein paar Nebentätigkeiten ausprobiert und mündliche Recherchen angestellt und wissen schließlich, welches die beste Wahl wäre. Aber dann bleiben sie stehen, gelähmt vor Angst. Zweifel melden sich erst zaghaft, dann immer stärker. Was, wenn ich einen schrecklichen Fehler mache und die neue Arbeit sich als Katastrophe erweist und nicht als Quell der Erfüllung? Ob ich die Kündigung vorsichtshalber nicht noch ein bisschen aufschiebe und warte, bis ich absolut sicher bin, dass ich den richtigen Beruf gefunden habe?
Diese Befürchtungen sind vollkommen normal. Letztendlich – um diese Tatsache kommt man nicht herum – ist ein Berufswechsel ja tatsächlich mit Risiken behaftet. Er ist ein Schritt ins Ungewisse und Unbekannte, ganz gleich, wie gründlich wir uns darauf vorbereiten.
Wie schaffen wir es und wagen den entscheidenden Sprung ins Dunkel?
Diese Frage habe ich bei meinen Recherchen für dieses Buch vielen Menschen gestellt. Und sie haben mir alle das Gleiche geantwortet. Sameera Khan, die ihre Stelle als Justitiarin aufgegeben hat und heute im sozialen Bereich und als freiberufliche Anwältin arbeitet, hat mir erzählt, was ihre Erfahrung sie gelehrt hat:
Die Berufsberaterin, an die ich mich gewandt habe, war erstaunlich. Ich konnte gar nicht glauben, dass ich so etwas nötig hatte, es war mir peinlich, das vor meinen Freunden zuzugeben, sogar vor mir selbst. Nach ein paar Beratungsstunden sagte sie: »Tja, Sie wissen ja selbst, dass Sie Ihren Job kündigen müssen, sonst bleiben Sie ewig in dieser Verzweiflung stecken. Wenn Sie aufhören, wird der Nebel sich schon von selbst ein wenig lichten. Wir müssen also ein Datum bestimmen.« Wir legten uns auf den 1. Juli fest, aber es war schon Mitte Mai! Ich sagte, viel Zeit sei das ja nicht, und sie erwiderte: »Tja, aber anders werden Sie es nicht schaffen.« Und damit hatte sie natürlich recht. Ich hörte also am 1. Juli auf. Was bleibt einem denn übrig? Wenn du deinen Job hinschmeißen willst, musst du es eben tun.
Ja, die unangenehme Wahrheit lautet: Irgendwann ist der Punkt erreicht, an dem Sie das Grübeln einstellen und einfach handeln müssen. Das ist eine der ältesten Weisheiten, die die Lebenskunst zu bieten hat. Auch sie fand – wie die These vom sinnstiftenden Lebensziel – über die Jahrhunderte in vielen Formen Ausdruck. In der westlichen Kultur berühmt ist die knappe Formel aus den Oden des römischen Dichters Horaz: carpe diem , lautete sein Rat, nutze den Tag – bevor dir keine Zeit mehr bleibt. In der rabbinischen Tradition gibt es ein Sprichwort, das Hillel dem Älteren zugeschrieben wird: »Wenn nicht jetzt, wann sonst?« Der dänische Philosoph Søren Kierkegaard schenkte uns den Gedanken vom »Sprung in den Glauben«. Eine literarische Version findet man in George Eliots Middlemarch : »Ich wollte nicht an der Küste entlangschleichen, sondern hinausfahren aufs offene Meer, von den Sternen geleitet.«
Die Allgegenwart dieses Ideals bezeugt die Abenteuerlust, die zum Menschsein gehört – unser Getriebensein von dem Wissen, dass das Leben kostbar und kurz ist. Wenn wir es ganz auskosten wollen – »alles Mark des Lebens aussaugen«, wie Thoreau schrieb –,
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