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Wie man die Welt verändert: Über Marx und den Marxismus (German Edition)

Wie man die Welt verändert: Über Marx und den Marxismus (German Edition)

Titel: Wie man die Welt verändert: Über Marx und den Marxismus (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Eric Hobsbawm
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innerhalb des gegenwärtigen Marxismus (von Tomáš G. Masaryk, dem späteren Präsidenten der Tschechoslowakei) erschienen.
    Die zentrale Frage, die sowohl hinter der Millerand-Krise als auch hinter der Debatte um Bernsteins Revisionismus stand, lautete: Reform oder Revolution? Worin bestand angesichts dessen, dass der sofortige Zusammenbruch des Kapitalismus Ende der 1890er Jahre nicht zu erwarten stand, die historische Funktion der Arbeiterbewegungen? Oder anders ausgedrückt: Gab es einen nicht-revolutionären Weg zum Sozialismus? Die Fälle Millerand und Bernstein waren gerade deshalb so besonders empörend, weil sie diese Frage so zwingend und unausweichlich stellten. Bernstein stieß fast zwangsläufig auf vehemente Ablehnung und brachte sämtliche Sektionen der Internationale gegen sich auf, weil er ganz offen eine Revision des Marxismus vorschlug. Mehr Umsicht zeigte die sozialistische Bewegung in der Angelegenheit Millerand, da sie nur eine Einzelperson betraf und es nicht um die sozialistische Theorie als solche ging. Man schlug eine Kompromisslösung vor, die in der Praxis die Beteiligung von einzelnen Personen, aber noch nicht von Parteien an »bürgerlichen Regierungen« ermöglichte. Auch im Falle Bernsteins machte sich die Sozialdemokratie in der Praxis die These zu eigen, wonach Hauptaufgabe der Bewegung die Verbesserung der Arbeitsbedingungen unter dem Kapitalismus sei, während sie seine theoretische Rechtfertigung des Reformismus kategorisch zurückwies. Nach 1900 befanden sich jedenfalls nicht einmal die marxistischen Arbeiterbewegungen in den kapitalistischen Kernländern im Kriegszustand mit dem Kapitalismus, sondern lebten in einer unausgesprochenen Symbiose mit ihm.
    Arbeiterbewegung und Sozialismus schienen zwar untrennbar miteinander verbunden zu sein, waren aber keineswegs identisch. Die Fälle Millerand und Bernstein standen für eine Krise des Sozialismus, nicht der Arbeiterbewegungen. Eine internationale Tagung von Historikern der Arbeiterbewegung diskutierte fälschlicherweise über »Die Arbeiterbewegung als gescheitertes Projekt der Moderne«. Denn Arbeiterbewegungen und Klassenbewusstsein sind keine »Projekte«, sondern in einer bestimmten Phase gesellschaftlicher Produktion logisch zwingende und politisch beinahe unvermeidliche Merkmale der Klassen von Männern und Frauen, die Lohnarbeit verrichten. Viel eher trifft der Begriff »Projekt« auf den Sozialismus zu, das heißt auf die Intention, den Kapitalismus durch ein neues Wirtschaftssystem und eine neue Gesellschaft zu ersetzen. Arbeiterbewegungen entstehen in allen Gesellschaften, in denen es eine Arbeiterklasse gibt, es sei denn, sie werden durch Zwang und Terror daran gehindert. Arbeiterbewegungen spielten in der Geschichte der USA eine wichtige Rolle und tun das noch immer in der Demokratischen Partei. Gleichzeitig wurde die Frage »Warum gibt es in den USA keinen Sozialismus?« schon früh gestellt – interessanterweise vom einstigen Marxisten Werner Sombart im Jahr 1906 –, wobei das Fehlen bzw. die Bedeutungslosigkeit des Sozialismus dort, ob als Ideologie oder politische Bewegung, sozusagen vorausgesetzt wird. In Großbritannien suchte die sogenannte Lib-Lab-Gewerkschaftsbewegung die politische Unterstützung der Liberalen, zu denen sie ihre Verbindungen erst nach dem Ende des Ersten Weltkriegs vollständig kappte. In Argentinien konnten Sozialisten und Kommunisten, die dort schon lange gescheitert waren, nur schwer verstehen, wie sich in diesem Land in den 1940er Jahren eine politisch unabhängige und radikale Arbeiterbewegung entwickeln konnte, deren Ideologie (Peronismus) in erster Linie in der Loyalität zu einem demagogischen General bestand.
    Mehr noch: Es gab sogar dezidiert antisozialistische Arbeiterbewegungen wie etwa die Gewerkschaft Solidarność in Polen und Arbeiterbewegungen, die mit bestimmten Nationalismen und Religionen verbunden waren, ganz gleich, ob dabei auch noch andere Ideologien eine Rolle spielten. So wurde in den 1970er Jahren der Versuch der britischen Regierung, die Katholiken in die Regierung von Nordirland einzubeziehen, durch einen Generalstreik der protestantischen Arbeiterklasse vereitelt. Umgekehrt finden sich in der Geschichte sozialistische und kommunistische Bewegungen, die eine Klassenbasis weder hatten noch anstrebten, etwa orthodoxe oder häretische christliche Bewegungen sowie die verschiedenen gemeinschaftsbildenden »utopischen Sozialisten« des 19. Jahrhunderts, die damals

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