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Wie man die Welt verändert: Über Marx und den Marxismus (German Edition)

Wie man die Welt verändert: Über Marx und den Marxismus (German Edition)

Titel: Wie man die Welt verändert: Über Marx und den Marxismus (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Eric Hobsbawm
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durch die Krise der traditionellen Arbeiterbewegungen entstanden war.
    Gleichzeitig widersprach die Erkenntnis (die Anfang der 1970er Jahre durch den Club of Rome zusätzlich an Dramatik gewann), dass das unkontrollierte Wachstum der menschlichen Produktionsfähigkeit den Grundstein für eine künftige Umweltkatastrophe legte, dem Reiz des Marxismus als Evolutionstheorie, die eine bessere Zukunft versprach. Die »Krise des Fortschritts«, die Marxisten in den 1930er Jahren als Charakteristikum einer erschöpften bürgerlichen Gesellschaft betrachtet hatten, wendete sich nun gegen sie selbst. Die Ungerechtigkeiten und Unterdrückungen, welche die kapitalistische Form des Fortschritts erzeugte, waren stets heftig kritisiert worden, aber nun geriet der Fortschritt als solcher ins Visier. Linke Kampagnen waren nunmehr zunehmend darauf ausgerichtet, die Natur zu schützen und zu bewahren gegen die fortschreitende Verfügungsmacht des Menschen über sie, eine Macht, die ihre marxistischen Vorgänger gepriesen oder zumindest als unausweichlich betrachtet hätten (nicht anders verhält es sich mit der Globalisierung). Der Marxismus war besonders verwundbar durch diese Perspektivenumkehr, welche die angebliche »historische Notwendigkeit« nun nicht mehr positiv, sondern negativ betrachtete.
    Ein politischer Linksruck, vor allem in der wachsenden und politisch bedeutsamen Schicht derjenigen mit Hochschulbildung, hätte dem Schicksal von Marx eine ganz andere Wendung geben können, denn das Interesse an seinen Theorien war historisch häufig damit verbunden, dass sich Einzelne oder Gruppen politisch radikalisierten oder Länder Phasen autoritärer Regierungen überwanden. Zwar gibt es Hinweise darauf, dass der politische Aktivismus in einigen nicht-europäischen Ländern zu einem gesteigerten Interesse an Literatur führte, die Bezug zu Marx hatte, etwa – zu verschiedenen Zeiten seit 1970 – in Brasilien, Taiwan, Südkorea und der Türkei. 7 Doch im Westen passierte nichts dergleichen. Im Gegenteil, die Krise des Hauptreservoirs der westlichen Linken, nämlich der gewerkschaftsnahen sozialdemokratischen Bewegungen, machte dort alle Ambitionen in Sachen Sozialismus zunichte. Soweit ich weiß, erklärte kein Parteiführer der europäischen Linken in den letzten 25 Jahren den Kapitalismus als solchen zu einem inakzeptablen System. Die einzige öffentliche Person, die das unermüdlich tat, war Papst Johannes Paul II. Außerdem erwies es sich als überraschend einfach, die rebellische Generation von 1968 – dieses Mal die Situationisten – in ein florierendes kapitalistisches System zu integrieren, das in höherem Maße als all seine Vorläufer Vielfalt bei persönlichen Vorlieben und Lebensstil erlaubte und das zunehmend als genau diese Ökonomie und Gesellschaft des mediengetriebenen öffentlichen Spektakels operierte und sich als solche präsentierte. Akademischer Erfolg brachte zunehmend Geld ein. In den 1990er und 2000er Jahren tauchten zum ersten Mal Milliardäre mit wissenschaftlichem Hochschulabschluss auf. Zumindest ein Beobachter witzelte, die weltweite Bankenkrise von 2008 habe damit zu tun, dass zum ersten Mal die schlauen Absolventen und nicht mehr, wie früher, die intellektuell weniger begabten ins Finanzwesen gegangen seien und dort Algorithmen erfunden hätten, die für die meisten Kapitalisten zu kompliziert waren, um sie zu verstehen. 8 Den intellektuell begabtesten Studenten ging es nicht um gesellschaftliche Veränderung, sondern um die eigene Karriere.
    Überdies sollten wir ein allgemeineres Phänomen nicht vergessen: die generell schwindende Bedeutung dessen, was man als die Ideologien gesellschaftlicher Veränderung aus dem Geist der Aufklärung des 18. Jahrhunderts bezeichnen könnte, und den Aufstieg oder das Wiederaufleben alternativer Inspirationsquellen für sozialen Aktivismus, namentlich stillschweigend modernisierte Versionen traditioneller Religionen. Sie übten in Europa zwar keine große Anziehungskraft aus, doch ihren ersten großen Erfolg feierten sie mit der iranischen Revolution 1979, der letzten großen sozialen Revolution des 20. Jahrhunderts. Doch auch ungeachtet dessen untergruben die historischen und intellektuellen Entwicklungen in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts sichtlich die politischen Analysen, Programme und Prognosen, die sich traditionell von Marx herleiteten. Marx’ grundsätzliche Analyse der Entwicklung und Funktionsweise des Kapitalismus behält ihre

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