Wie man einen verdammt guten Roman schreibt
Leser Fragen zum weiteren Verlauf der Geschichte ausgelöst. Einige dieser Fragen könnten sich beispielsweise um das Hauptproblem des Protagonisten, eines Alkoholikers, gedreht haben. Auf dem Höhepunkt sehen wir, wie er sich den Anonymen Alkoholikern anschließt oder Selbstmord begeht. Auf jeden Fall ist der zentrale Konflikt gelöst. Doch es könnte noch weitere, sekundäre Fragen geben, die den Leser ebenfalls beschäftigen. Wird die Tochter ihren Vater weiterhin hassen, wird sich seine Frau mit ihm versöhnen, wird der ehemalige Trinker seinen Job zurückbekommen? Natürlich würden nur in einem Melodram alle diese Fragen vollständig beantwortet, doch auch in einem guten Roman sollten einige von ihnen ganz und der Rest zumindest teilweise beantwortet werden. Ein guter Höhepunkt hinterläßt beim Leser das Gefühl, daß die Geschichte zu Ende ist.
• Scrooge hat sich von Grund auf verändert und wird nie wieder ein Geizhals sein.
• Die Corleones haben ihre Macht wiedererlangt.
• McMurphy ist tot, doch der Häuptling hat seine Seele gefunden und wird sie nie mehr verlieren.
• Der alte Mann hat seine Selbstachtung wiedergefunden
• Leamas ist tot.
• Humbert Humbert ist tot.
• Emma Bovary ist tot.
Und dieses Kapitel ist beendet.
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ERZÄHLPERSPEKTIVE, RÜCKBLENDE UND
ANDERE RAFFINESSEN AUS DER TRICKKISTE
DES ROMANAUTORS
DEFINITION DER ERZÄHLPERSPEKTIVE
Wenn ein Autor eine Figur beschreibt und sagt: »Drei Dinge konnte Marvin nicht austehen: altbackene Berliner, den Hackbraten seiner Frau und Republikaner«, dann bringt er die Perspektive der Figur zum Ausdruck. Die Perspektive einer Figur ist das Zusammenspiel all seiner Meinungen, Vorurteile, seines Geschmacks und seiner Einstellungen. Die Perspektive bestimmt, wie die Figur die Welt sieht. Sie entsteht aus den besonderen soziologischen, physiologischen und psychologischen Eigenschaften einer Figur.
Perspektive bezieht sich auf das, was man den Ort des Erzählens nennen könnte. Der Ort des Erzählens bezeichnet die Position, die der Erzähler im Verhältnis zu seinen Figuren einnimmt: als unsichtbarer Augenzeuge, der objektiv Bericht erstattet, als eine Art göttlicher Allwissender, der Einblick in die Gedanken und Gefühle seiner Figuren hat, oder als weitere Figur innerhalb der Geschichte.
OBJEKTIVE ERZÄHLPERSPEKTIVE
Wenn sich der Erzähler die ganze Zeit außerhalb der Figuren befindet, also wie eine Art Reporter schreibt, dann schreibt er aus einer objektiven Perspektive. Der Erzähler beschreibt die Handlungen der Figuren so, als ob er beispielsweise ein Theaterstück ansehen würde. Hier ist ein Beispiel:
Joe wachte um drei Uhr morgens auf. Er stand auf, ging an die Hausapotheke, goß sich drei Finger breit von einer schäumenden Flüssigkeit ein, wartete, bis sie aufhörte zu sprudeln, und kippte sie hinunter, wobei er sich die Nase zuhielt. Dann zog er sich an, lud seine Schrotflinte, steckte sie unter seinen Mantel, sprang in seinen gepanzerten Transportwagen und fuhr zur Bank …
Das bezeichnet man als »objektive« Erzählperspektive, weil sich der Erzähler außerhalb der Figur befindet, die Figur »objektiv« betrachtet und keinerlei Vorstellung von der »subjektiven« Verfassung der Figur hat. Wir erfahren nicht, was die Figur denkt und fühlt, wie ihre Einstellung ist, was für Pläne sie hat usw. Das Ganze ist geschrieben, als ob der Erzähler ein Zuschauer wäre, der den Dialog und die Handlungen einfach beobachtet und aufschreibt.
Frage: Wann benutzen Sie die objektive Erzählperspektive? Antwort: Sehr selten.
Die objektive Erzählperspektive wird verwendet, wenn man einer Figur etwas Geheimnisvolles geben will. Sie wird manchmal in Spionage- oder Detektivromanen verwendet, wenn der Schurke agiert. Wir sehen, was die Figuren tun, ohne wirklich zu wissen, wer sie sind. Der Leser wird sich nur in solchen Fällen damit abfinden, Figuren herumschleichen zu sehen, die er nicht wirklich kennt, wo das ein Teil des Vergnügens ist.
Normalerweise jedoch schätzen Leser Erzählungen aus der objektiven Perspektive nicht allzu sehr, weil sie sich wünschen, enger mit den Figuren vertraut zu sein, und weil diese Perspektive am wenigsten dazu beiträgt. Aus diesem Grund ist es am besten, sie zu vermeiden, und die meisten Autoren tun das auch. Es gibt natürlich denkwürdige Ausnahmen. Dashiell Hammett bedient sich in seinem Roman Der Malteser Falke dieser Erzählperspektive
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