Wie man einen verdammt guten Roman schreibt
Sperrklinke zitterte noch. [Ende der Szene; Rückkehr zur Erzählung.]
Am nächsten Morgen war er schon um neun Uhr auf dem Gut. Emma wurde über und über rot, als er hereinkam, obwohl sie ihre Verlegenheit hinter einem gezwungenen Lachen zu verbergen suchte. Der alte Rouault umarmte seinen künftigen Schwiegersohn. Die Besprechung der geschäftlichen Fragen, die zu regeln waren, wurde auf später verschoben. Man hatte dazu übrigens noch Zeit genug; die Hochzeit konnte anstandshalber ja doch nicht vor Ablauf von Charles’ Trauerjahr, das heißt erst im nächsten Frühling, stattfinden.
Der Winter verging in dieser Erwartung …
DIE GESTALT DER DRAMATISCHEN SZENE
Spannendes Schreiben erfordert eine Steigerung des Konflikts. Das gilt nicht nur für die spannende Geschichte insgesamt, sondern ebenso für jede einzelne Szene darin, egal, ob sie nun in einer Erzählpassage summarisch behandelt wird oder ausführlicher in einer Szene oder Halbszene.
Eine Szene, die einen sich entwickelnden Konflikt enthält, muß notwendig eine Art Höhepunkt und eine Auflösung haben, auch, wenn der Konflikt in die nachfolgenden Szenen hineingetragen wird. Der zentrale Konflikt einer Szene muß nicht mit dem zentralen Konflikt des Romans identisch sein. Der zentrale Konflikt eines Romans kann sich zwischen einem Mann und seiner Frau abspielen; die Szene, mit der der Roman beginnt, kann beispielsweise einen Konflikt zwischen dem Mann und seinem Chef enthalten, der dazu führt, daß er gefeuert wird, ein Vorfall, der seinerseits den zentralen Konflikt des Romans beeinflußt.
Eine Szene hat dieselbe Gestalt wie eine Geschichte. Sie beginnt vergleichsweise spannungsarm und steigert sich zu einem Höhepunkt, dem eine Auflösung folgt. Hier ein Beispiel aus Ein Weihnachtslied in Prosa:
Während der Verrückte den Neffen hinausbegleitete, hatte er zwei andere Leute hereingelassen. [Das ist eine Überleitung von der vorhergehenden Szene. Die neue Szene beginnt jetzt.] Es waren stattliche Herren von gutem Aussehen, die nun, ihre Hüte abgenommen, in Scrooges Kontor stan-den; sie trugen Bücher und Papiere in Händen und machten ihm eine Verbeugung.
»Scrooge und Marley, wenn ich nicht irre?« sag-te einer der Herren mit einem Blick in seine Listen; »habe ich die Ehre mit Mr. Scrooge oder mit Mr. Marley?«
»Mr. Marley ist schon seit sieben Jahren tot«, antwortete Scrooge, »gerade heute nacht vor sieben Jahren ist er gestorben.« [Bis hierher enthält die Szene kaum Konfliktstoff. Scrooge weiß noch nicht, daß die Herren ihn um Geld bitten wollen.]
»Wir zweifeln nicht, daß seine Freigebigkeit von seinem überlebenden Partner würdig weitergeführt wird«, sagte der Herr, indem er seine Vollmacht vorwies.
Seine Behauptung traf wirklich zu, denn sie waren zwei verwandte Geister gewesen. Bei dem unheilkündenden Wort »Freigebigkeit« schauderte Scrooge zusammen, schüttelte den Kopf und gab die Vollmacht zurück. [Die Spannung steigt.]
»In dieser festlichen Zeit des Jahres, Mr. Scrooge«, sagte der Herr, indem er seine Feder zur Hand nahm, »ist es noch wünschenswerter als sonst, daß wir, so gut es geht, für die Armen und Verwahrlosten sorgen; sie haben gerade in dieser Jahreszeit schwer zu leiden. Vielen Tausenden fehlt es am gewöhnlichsten Lebensbedarf, Hunderttausende vermissen auch die geringste Behaglichkeit, Sir!«
»Gibt’s keine Gefängnisse?« fragte Scrooge. [Jetzt wird er unangenehm; denn sie wollen sein Geld.]
»Gefängnisse genug!« versetzte der Herr und legte die Feder wieder weg. »Und die Arbeitshäuser?« fuhr Scrooge fort; »bestehen sie wohl noch?« »Ja, noch immer!« entgegnete der Herr; »ich wünschte, ich könnte nein sagen.« »Die Tretmühle und das Armengesetz sind also noch in Kraft?« fragte Scrooge weiter.
»Beide in voller Wirksamkeit, Sir.«
»Oh«, meinte Scrooge, »nach dem, was Sie zuerst sagten, fürchtete ich, es sei etwas vorgefallen, was ihren nützlichen Gang hemme; ich bin froh, das Gegenteil zu hören.«
»In der Überzeugung«, erwiderte der Herr, »daß diese Einrichtungen den Menschen schwerlich christliche Freude an Leib und Seele vermitteln können, sind einige von uns bemüht, einen Geldbetrag aufzubringen, mit dem wir den Armen Speise und Trank und Mittel zur Erwärmung verschaffen wollen. Wir haben diesen Zeitpunkt gewählt, weil gerade jetzt Mangel als schmerzlich
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