Wie man einen verdamt guten Roman schreibt (Teil 2)
wahnsinnig zu werden.
Ein Erzähler, der nicht unsichtbar ist, kann allein durch den Einsatz der Stimme eine gewisse Feierlichkeit erzeugen. Nehmen wir beispielsweise den Erzähler in Clive Barkers Gyre.
Nichts beginnt jemals.
Es gibt keinen ersten Augenblick; kein einzelnes Wort oder einen Ort, von dem diese oder eine andere Geschichte ihren Ausgang nimmt.
Man kann die Fäden stets zu einer früheren Geschichte zurückverfolgen, und zu den Geschichten, welche dieser vorausgehen; doch wenn die Stimme des Erzählers in den Hintergrund tritt, scheinen die Zusammenhänge dünner zu werden, denn ein jedes Zeitalter will die Geschichte so erzählt haben, als wäre sie sein eigenes Produkt.
Dadurch wird das Heidnische geheiligt, das Tragische wird lächerlich; große Liebende werden zu Sentimentalität erniedrigt, Dämonen schwinden zu mechanischen Spielzeugen.
Beachten Sie, wie die Erzählerstimme hier das Gefühl erzeugt, daß die Geschichte, die erzählt werden soll, zeitlos, bedeutsam und mythisch ist.
Allerdings kann der Autor als Kommentator seines eigenen Werks auch zu weit gehen. Wie Macauley und Lanning in Technique in Fiction sagten, »entstand die moderne Anwendung dieser Technik… (der Autor als unsichtbarer Erzähler) als Reaktion auf die Gewohnheit der Autoren des achtzehnten und neunzehnten Jahrhunderts, den Erzählfluß zu unterbrechen. So etwas nennt man auktoriale Einmischung und das findet dann statt, wenn der Autor in eigener Person sozusagen vorbeischaut, um mit dem Leser zu plaudern.«
John Fowles Die Geliebte des französischen Leutnants, eine im zwanzigsten Jahrhundert geschriebene, bewußte Nachgestaltung eines Romans aus dem neunzehnten Jahrhundert, ist ein Beispiel dafür:
Sam war im gleichen Augenblick genau entgegengesetzter Meinung; was verstand seine Evastochter nicht alles! Man kann sich ja heute nur schwer den ungeheuren Unterschied vorstellen, der zwischen einem Burschen aus London und einer Fuhrmannstochter bestand, die aus einem entlegenen Dorf in Ost-Devon stammte. Wäre er ein Eskimo und sie ein Zulumädchen gewesen, die Hindernisse zwischen ihnen wären nicht viel geringer gewesen. Kaum, daß sie die gleiche Sprache sprachen, so oft verstanden sie überhaupt nicht, was der andere gerade gesagt hatte.
Klingt das nicht tatsächlich so, als wär der Autor kurz auf einen Plausch vorbeigekommen?
Auktoriale Einmischungen können ausufern. In The Craft of Fiction spricht William C. Knott in diesem Zusammenhang von der »großen Klappe des Autors«. Die auktoriale Einmischung wird übertrieben, wenn sie zu einem Kommentar der Ereignisse wird oder als platte Vorausdeutung benutzt wird, also wenn der Autor preisgibt, was kommt, wie zum Beispiel:
Freddy verließ das Haus, knallte die Tür hinter sich zu, stieg ins Auto und fuhr los - geradewegs auf das zu, was sich als der größte Fehler seines Lebens erweisen sollte.
Das wäre ein Fall, wo der Autor »die Illusion von Realität zerstört«, würde Knott sagen, indem er die Leser daran erinnert, daß sie »ein erfundenes Produkt« lesen.
PSEUDOREGELN
ÜBER DIE ERSTE UND DIE DRITTE PERSON UND ANDERE MYTHEN
Der Erzähler ist eine Figur, und Sie sollten sich Ihren Erzähler auch in jedem Fall als Figur vorstellen, egal in welcher Person Sie schreiben. Vergessen Sie außerdem diese Pseudoregeln über das, was man angeblich nur in der ersten oder nur in der dritten Person machen kann. Praktisch alles, was Sie in der ersten Person machen können, können Sie auch in der dritten machen und umgekehrt.
Nehmen wir beispielsweise Camus’ Der Fremde, der einen Ich-Erzähler benutzt, um - wie man häufig sagt - »Intimität« zu erzeugen. Man hat Ihnen sicher mal erklärt, daß man das mit einer Erzählung in der dritten Person nicht erreichen kann. In der folgenden Szene hat der Ich- Erzähler gerade die Leichenhalle betreten, in der seine tote Mutter aufgebahrt ist:
In diesem Augenblick kam hinter mir der Pförtner herein. Er schien sich sehr beeilt zu haben. Er rang ein bißchen nach Luft.
»Der Sarg wurde geschlossen, aber ich brauche ihn nur aufzuschrauben, damit Sie sie sehen können.«
Er näherte sich dem Sarg, aber ich hielt ihn zurück.
Er sagte: »Sie wollen nicht?«
Ich antwortete: »Nein.«
Er unterbrach sich, und ich war verlegen, weil ich fühlte, daß ich das nicht hätte sagen sollen. Nach einer Weile sah er mich an und fragte:
»Warum?« Aber ohne Vorwurf, als wollte er sich nur erkundigen.
Ich sagte: »Ich weiß
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