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Wie man einen verdamt guten Roman schreibt (Teil 2)

Wie man einen verdamt guten Roman schreibt (Teil 2)

Titel: Wie man einen verdamt guten Roman schreibt (Teil 2) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: James N. Frey
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nicht.«
    Da drehte er an seinem weißen Schnurrbart und meinte, ohne mich anzusehen:
    »Kann ich verstehen.«
    Die Erzählung ist persönlich und intim und gut gemacht. Sie beschwört das Gefühl von Unbeholfenheit und Trauer herauf, das für derartige Anlässe typisch ist. Nun wollen wir einmal sehen, was passiert, wenn wir das Ganze in die dritte Person umsetzen:
    In diesem Augenblick kam der Pförtner hinter Meursault herein. Der Pförtner schien sich sehr beeilt zu haben. Er rang ein bißchen nach Luft.
    »Der Sarg wurde geschlossen, aber ich brauche ihn nur aufzuschrauben, damit Sie sie sehen können.«
    Sie näherten sich dem Sarg, aber Meursault hielt ihn zurück.
    Der Pförtner sagte: »Sie wollen nicht?«
    »Nein.«
    Der Pförtner unterbrach sich, und Meursault war verlegen, weil er fühlte, daß er das nicht hätte sagen sollen. Nach einer Weile sah der Pförtner ihn an und fragte:
    »Warum?« Aber ohne Vorwurf, dachte Meursault, als wollte er sich nur erkundigen.
    Meursault antwortete: »Ich weiß nicht.«
    Da drehte der Pförtner an seinem weißen Schnurrbart und meinte, ohne Meursault anzusehen: »Kann ich verstehen.«
    Was für eine »Intimität« geht denn da verloren? Tut mir leid, überhaupt keine. Kein Krümel, kein Jota. Die Version in der dritten Person beschwört genauso das Gefühl von Unbeholfenheit und Trauer herauf wie die Ich-Version.
    Wir wollen uns ein weiteres Beispiel ansehen. Beginnen wir mit der angeblich weniger

intimen Fassung, mit einem Er-Erzähler, wie ihn Stephen King in Carrie verwendet:
    Er rutschte auf den Beifahrersitz hinüber und küßte sie, und sie spürte seine starken Hände über ihren Körper wandern, von der Taille bis zu den Brüsten. Sein Atem roch nach Tabak, und sein Haar und seine Haut rochen nach Frisiercreme und Schweiß. Schließlich löste sie sich von ihm und starrte, nach Atem ringend, an sich hinunter. Der Pullover war jetzt auch noch voller Schmutz, Staub und Schmieröl. Siebenundzwanzig Dollar fünfzig bei Jordan Marsh, und das Ding war zu nichts anderem mehr zu gebrauchen als für die Mülltonne. Sie war unglaublich, beinahe schmerzlich erregt.
    Nun die Umsetzung in die erste Person, die nach den gängigen Theorien intimer sein sollte:
    Er rutschte auf den Beifahrersitz hinüber und küßte mich, und ich spürte seine starken Hände über meinen Körper wandern, von der Taille bis zu den Brüsten. Er roch nach Tabak, Frisiercreme und Schweiß. Schließlich löste ich mich von ihm und starrte, nach Atem rin - gend, an mir hinunter. Der Pullover war jetzt auch noch voller Schmutz, Staub und Schmieröl. Siebenundzwanzig Dollar fünfzig bei Jordan Marsh, und das Ding war zu nichts anderem mehr zu gebrauchen als für die Mülltonne. Ich war unglaublich, beinahe schmerzlich erregt.
    Der Wechsel ist völlig problemlos. In beiden Versionen wird die gleiche Message herübergebracht. Der Wechsel zur ersten Person schafft keine größere Intimität.
    Gut und schön, werden Sie sagen. Aber wahr ist, wenn der Ich-Erzähler eine sehr bunte Figur ist, dann könnte man nicht wechseln - man würde an Farbe verlieren. Okay, sehen wir uns eine farbige Erzählung in der ersten Person an:
    Mein Name ist Dale Crowe junior. Ich hab zu Kathy Baker, meiner Bewährungshelferin, gesagt, ich weiß gar nicht, was ich falsch gemacht hab. Ich bin in die Go-go-Bar gegangen, um einen alten Kumpel zu treffen, und hab beim Warten ein Bier getrunken, mehr nicht, mich um meinen eigenen Kram gekümmert, und dann ist diese Go-go-Nutte an meinen Tisch gekommen und hat einen Privattanz hingelegt, um den ich nie gebeten hatte. »Die schieben deine Knie auseinander, damit sie richtig nah rankommen«, hab ich gesagt, »um sie dir dicht vors Gesicht zu halten. Die hier hieß Earlene. Ich hab ihr gesagt, kein Interesse, aber sie machte immer weiter, also bin ich aufgestanden und gegangen. Die Go-go-Nutte fängt an zu schreien, ich schulde ihr fünf Piepen, und schon kommt so ‘n Rausschmeißer angelaufen. Ich geb ihm ‘n Schubs, mehr nicht, geh raus, und da parkt schon ein Grünweißer neben dem Eingang und wartet. Der Rausschmeißer markiert den starken Mann, will angeben, also drücke ich ihm eine, und zwar nicht zu knapp, weil ich denke, die Hilfssheriffs sehen ja, wer angefangen hat. Scheiße, die legen mir Handschellen an und werfen mich in den Streifenwagen, meine Version der Geschichte wollen sie gar nicht hören. Als nächstes tippen sie mich in den kleinen Computer, den sie

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