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Wie man einen verdamt guten Roman schreibt (Teil 2)

Wie man einen verdamt guten Roman schreibt (Teil 2)

Titel: Wie man einen verdamt guten Roman schreibt (Teil 2) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: James N. Frey
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rühren.
    Die Pseudoregel besagt, wenn dieses Buch in der ersten Person (aus Carries Perspektive) geschrieben wäre, wäre es unmöglich, in Margaret Whites Gedankenwelt einzudringen, wie es in dieser in der dritten Person erzählten Szene geschieht. Wir wollen mal sehen, ob das stimmt. Es bedarf nur einer gewissen Fingerfertigkeit. Mal angenommen, der Roman würde aus Carries Perspektive in der ersten Person erzählt. Sie hat gerade das Haus verlassen, um gegen den Willen ihrer Mutter zum Ball zu gehen:
    Nachdem ich fort war, war das Haus sicher vollkommen still.
    Ich weiß, daß Mutter in ihrem Schlafzimmer bleiben und nur den einen Gedanken denken wird: Sie ist fort. Nachts. Fort.
    Dann würde sie langsam von ihrem Schlafzimmer ins Wohnzimmer hinübergehen und denken, erst ist die Flut des Blutes gekommen und die verruchten Gedanken, die der Teufel mir, ihrer Tochter, gesandt hat. Dann diese höllische Kraft, die der Teufel mir verliehen hat. Sie würde glauben, daß diese Kraft erwacht ist, als das erste Blut floß und die ersten Haare wuchsen, zwischen den Beinen. Sie würde denken, daß sie diese Satanskraft gut kennt. Ihre eigene Großmutter hatte sie besessen, und sie würde sich daran erinnern, wie diese das Holz im Kamin anzünden konnte, ohne in ihrem Schaukelstuhl am Fenster auch nur einen Finger zu rühren.
    Hier wird dem Leser doch genau dasselbe vermittelt - die Atmosphäre, die Intimität und die charakteristischen Eigenschaften der Figur. Sie sehen also, egal welche Perspektive Sie wählen, es gibt keine Beschränkungen, und Sie müssen auf absolut nichts verzichten. Es sei
    denn, Ihr Ich-Erzähler ist kein guter Beobachter oder blickt nicht ganz durch oder verfügt über keine farbige Sprache. Oder stirbt vor Ende der Geschichte.
    Der Gag bei dieser ganzen Sache hier ist natürlich: egal welche Perspektive und welche Erzählerstimme Sie wählen, Sie sollten die Möglichkeiten dieser Perspektive und dieser Erzählerstimme ausnutzen, anstatt sich davon eingeschränkt zu fühlen. Manchen Autoren liegt eine Perspektive mehr als die andere, und natürlich ist auch das Genre, in dem man schreibt, zu berücksichtigen. Knallharte Kriminalromane werden oft in der ersten Person, aus der Perspektive eines toughen Typs erzählt, während Liebesromane fast immer in der dritten Person, in einer blumigen, melodramatischen Sprache geschrieben werden.
    DAS MUSKELSPIEL DES AUTORS: ENTWICKELN SIE IHRE STIMME
    Eine starke Erzählerstimme zu haben ist für einen Autor genauso wichtig wie sein Handwerk zu beherrschen. Eine starke Stimme wird Agenten und Verleger beeindrucken.
    Eine starke Erzählerstimme zu entwickeln oder auch nur die Notwendigkeit dafür zu erkennen, geht normalerweise über die Fähigkeiten eines angehenden Autors hinaus. Für einen Anfänger ist es schwer, diese Stimme überhaupt zu hören.
    Der Grund dafür ist einfach. Die meisten Autoren haben die typische amerikanische Schulbildung genossen. Dort wird einem beigebracht, wie man wissenschaftlich schreibt. Und wenn der Kopf einmal in dieser Zwangsjacke steckt, kann man sich nur mit größter An - strengung daraus befreien.
    Wenn Sie in der Schule oder sogar noch auf dem College einen Essay geschrieben haben, lag die Betonung doch immer auf der Grammatik und dem formalen Aufbau. Um inhaltliche Fragen ging es nur insoweit, ob Sie das gestellte Thema angemessen behandelt hatten.
    Niemand hat Ihnen je gesagt, daß sie eine überzeugende Idee haben müssen. Oder daß Sie

eine starke, farbige Sprache benutzen sollen. Ihre Persönlichkeit wurde konsequent aus dem Geschriebenen verbannt. Wenn Sie beispielsweise in einer Hausarbeit super schrieben, wurde das mit Rot als »umgangssprachlich« bemängelt, und Ausdrücke wie Interface galten als »Jargon«. Wenn Sie es gewagt hätten, eine Aufgabe wie: »Vergleichen Sie die Symbolik des Wals in Moby Dick mit der des A’s in Der scharlachrote Buchstabe« als unsinnig zu bezeichnen, dann wären Sie durchgefallen.
    Sie wurden belohnt, wenn Sie das, was Sie gesagt haben, mit zahlreichen Zitaten »belegt« haben. Und Sie wurden mit guten Noten belohnt, wenn Sie die Auffassung des Lehrers teilten und in einem banalen, farblosen, absolut toten und langweiligen wissenschaftlichen Stil schrieben. Mit anderen Worten, jeder Essay, der in der Schule oder an der Uni geschrieben wurde, wurde danach beurteilt, inwieweit er der idealen wissenschaftlichen Arbeit entsprach, das heißt gut strukturiert, grammatikalisch richtig

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