Wie man einen verdamt guten Roman schreibt (Teil 2)
Leigh in der Dusche zu Tode metzeln zu lassen. Hätte er sich davon abbringen lassen, was wäre dann aus Psycho geworden?
Stephen King schreckt nie vor etwas zurück.
Und ich rede hier nicht nur von grausigen Szenen. Mußte zum Beispiel die Heldin am Schluß von “In einem anderen Land“ sterben? Mußte der Held am Schluß von “Wem die Stunde schlägt“ sterben? Nein, natürlich nicht, aber wenn Sie starke Gefühle beim Leser auslösen wollen, müssen Sie tragische Situationen schaffen. Tragisch, blutrünstig, furchterregend oder was auch immer. Schrecken sie nie vor etwas zurück. Sie dürfen nicht ängstlich sein, wenn Sie ein verdammt guter Romanautor werden wollen.
Haben Sie keine Angst davor, neue Wirkungen zu erzielen.
Mal angenommen, Sie haben Hemmungen, Sexszenen zu schreiben. Dann könnte etwa folgendes dabei herauskommen:
Sie sah in seine tiefblauen Augen, küßte ihn voll auf den Mund und spürte, wie der Kuß sie bis in die Zehenspitzen erschütterte. Er wich ein wenig zurück, drehte den Kopf zur Seite und sagte: »Du gehst aber ran! Weißt du auch, was du tust? Was ist denn, wenn dein Mann plötz - lich nach Hause kommt?«
»Mein Mann kommt erst am Samstag nach Hause. Bis dahin bin ich dein. Ganz dein. Hundertprozentig dein.«
»Dann laß uns das Licht ausmachen«, sagte er und griff nach dem Schalter…
Als sie am nächsten Morgen um acht Uhr aufwachte, stellte sie fest, daß Mortimer fort war.
Hier wurde eine Szene einfach abgebrochen, die ganz schön sexy hätte werden können.
Häufig flüchtet sich ein ängstlicher Autor, wenn es ihm zu brenzlig wird, in eine Rückblende. Rückblenden sind nette, gemütlich warme Orte, an denen die Konflikte und Spannungen im »Jetzt« der Geschichte noch nicht entstanden sind. Deshalb kann der Autor sich leicht dorthin zurückziehen, um dem Sturm zu entfliehen. Vor Konflikten davonzulaufen ist eine weitverbreitete Praxis bei ängstlichen Autoren.
Oft haben Romanautoren Angst vor ihren Gefühlen. Wenn Sie sich beispielsweise irgendwann in Ihrem Leben einmal schrecklich blamiert haben und nun eine Szene schreiben, in der ihr Protagonist in eine ähnlich peinliche Situation gerät, dann werden Sie sich mögli -
cherweise beim Schreiben an Ihre eigene Blamage erinnern. Das ist ein guter Zeitpunkt, dieser Sache auf den Grund zu gehen und sie zu Papier zu bringen, egal wie schmerzlich das ist.
Leichter gesagt als getan, werden Sie einwenden.
Das stimmt. Aber wenn Sie ein verdammt guter Romanautor werden wollen, müssen Sie es lernen.
Der erste Schritt, Ängstlichkeit zu überwinden, ist zu erkennen, wann man in diesen Fehler verfällt, und sofort etwas dagegen zu tun. Manchmal reicht es schon, sich zu fragen, ob man etwa vor einem Konflikt davonläuft, und das hilft einem, sich dem zu stellen, vor dem man davonlaufen wollte.
Autoren laufen allerdings nicht nur vor Konflikten davon. Sie laufen auch vor Lektoren und Agenten davon.
Sobald ich meinen ersten Roman zu Ende geschrieben hatte, bekam ich folgenden Rat:
Geh mal in eine Buchhandlung und such dir Bücher raus, die ähnlich sind wie deins. Notier dir, in welchen Verlagen diese Bücher erschienen sind. Dann geh nach Hause, ruf bei den Verlagen an und laß dich mit dem Lektorat verbinden. Sag, du möchtest mit dem Lektor sprechen, der so ein ähnliches Buch wie deins betreut hat. Wenn der dann ans Telefon kommt, sag ihm, wie sehr dir dieses Buch gefällt. Sag, du hättest so was ähnliches geschrieben, und frag, ob er es sich nicht mal ansehen wolle. In neun von zehn Fällen sagen die Leute dann ja. Ich war entsetzt. Was - sich an die Götter des Olymps wenden? Per Telefon? Ich? James Nobody Frey?
Erst später, nachdem ich an einem Haufen Autorentagungen teilgenommen und viele New Yorker Agenten und Lektoren kennengelernt hatte, dämmerte mir allmählich, daß die meisten Lektoren und Agenten gescheiterte Schriftsteller sind, die nicht den Mut gehabt hatten, sich der leeren Seite und dem Ablehnungsschreiben zu stellen.
Sie besitzen keine magischen Fähigkeiten. Die meisten von ihnen sind ganz normale Menschen, die ihre Hose oder Strumpfhose auch ein Bein nach dem anderen anziehen. Wenn man sie anruft, werden sie keine glühenden Strahlen durch die Leitung schicken, die einen zu einem Häufchen Asche verbrennen.
Im Gegenteil, sie werden Sie für Ihre Kühnheit bewundern. Sie wissen, wenn ein Autor an sich glaubt, dann besteht eine gute Chance, daß er sein Handwerk versteht.
Wenn Sie
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