Wie man Freunde gewinnt
jedoch herausgestellt, daß der gegenwärtige Defekt einer längeren Reparatur bedarf, damit später kein noch größerer Schaden entsteht. Dann nämlich würde ein mehrtägiger Ausfall unvermeidlich werden, und ich weiß, daß Sie Ihren Gästen solche Unannehmlichkeiten nicht zumuten möchten.»
Der Direktor mußte zugeben, daß ein Ausfall von acht Stunden weniger schlimm war als ein solcher von mehreren Tagen. Indem er darauf Rücksicht nahm, daß der Direktor in erster Linie an das Wohl seiner Hotelgäste dachte, konnte ihn Jay Magnum problemlos und ohne Disput von seiner
Auffassung überzeugen.
Die Klavierlehrerin Joyce Morris erzählte, wie sie ein Problem löste, das Klavierlehrern von jungen Mädchen öfter begegnet. Babette hatte besonders lange Fingernägel. Für jemand, der ernsthaft Klavier spielen möchte, sind lange Nägel
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jedoch hinderlich.
«Ich wußte, daß sie mit solchen Nägeln nicht ordentlich spielen konnte. Als sie zum erstenmal in die Stunde kam, sagte ich nichts. Ich wollte sie nicht entmutigen, Klavierstunden zu nehmen. Ich merkte auch, daß sie nicht gerne auf etwas verzichten würde, auf das sie so stolz war und das sie so sorgfältig pflegte.
Während der nächsten Stunde, als ich den Moment für günstig hielt, sagte ich: ‹Babette, du hast sehr schöne Hände und wunderbare Nägel. Falls du aber einmal so gut Klavier spielen willst, wie du gerne möchtest, und auch das Talent dazu hast, würdest du viel leichter und schneller vorankommen, wenn du deine Nägel kürzer schneiden würdest. Überleg dir's mal.› Sie machte ein Gesicht, das nichts Gutes verhieß. Ich sprach auch mit ihrer Mutter und erwähnte ihr gegenüber ebenfalls, wie schön Babettes Nägel seien. Auch hier war die Reaktion negativ.
Für Babette waren diese sorgfältig manikürten Nägel offenbar sehr wichtig.
Als Babette eine Woche später wieder in die Stunde kam, stellte ich zu meiner Überraschung fest, daß sie die Nägel gestutzt hatte. Ich machte ihr ein Kompliment und lobte sie für dieses Opfer. Ich bedankte mich auch bei ihrer Mutter dafür, daß sie Babette günstig beeinflußt hatte. Doch sie wehrte ab: ‹Oh, ich hatte nichts damit zu tun. Babette hat das von sich aus beschlossen. Es ist das erstemal, daß sie ihre Nägel kurz schneidet.›»
Hat Joyce Norris Babette gedroht? Ihr gesagt, daß sie keine Schülerin mit langen Fingernägeln unterrichte? Nichts dergleichen. Sie gab Babette gegenüber zu, daß ihre Nägel sehr schön seien und es ein Opfer wäre, sie abzuschneiden. Sie ließ durchblicken: «Ich kann dich sehr gut verstehen - ich weiß, es ist nicht leicht, aber für dein Klavierspiel würde es sich lohnen.»
Sol Hurok war vermutlich Amerikas bedeutendster
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Konzertagent. Während fast eines halben Jahrhunderts hat er Engagements für weltberühmte Künstler wie Schaljapia, Isadora Duncan und die Pawlowa vermittelt. Von Hurok habe ich gelernt, daß Verständnis die wichtigste Voraussetzung ist im Umgang mit so temperamentvollen Künstlern. Verständnis und nochmals Verständnis für ihre lächerlichen Verrücktheiten.
Drei Jahre war er Impresario von Fedor Schaljapin, einem der größten Bassisten, die jemals das vornehme Logenpublikum der Metropolitan Opera begeistert haben. Für Sol Hurok allerdings bedeutete Schaljapin eine ständige Sorge. Er benahm sich wie ein verwöhntes Kind. Mit Huroks Worten ausgedrückt, war er
«ein Teufelskerl in jeder Beziehung».
Es konnte vorkommen, daß er Sol Hurok um drei Uhr nachmittags, wenige Stunden vor seinem Auftreten, telefonierte und ihm eröffnete: «Sol, ich fühle mich hundsmiserabel. Mein Hals ist wie ein rohes Beefsteak. Ich kann heute abend ganz unmöglich singen.»
Sol Hurok wußte, wie man Künstler behandeln muß. Statt ein großes Zetermordio anzustimmen, eilte er vor Mitgefühl triefend in Schaljapins Hotel. «Das tut mir aber leid», bedauerte er ihn.
«Es tut mir wirklich leid für Sie! Mein armer Junge.
Natürlich können Sie in diesem Zustand auf keinen Fall singen. Ich werde die Vorstellung unverzüglich absagen. Das wird Sie zwar ein paar tausend Dollar kosten, aber was bedeutet das schon im Vergleich zu Ihrem Ruf.»
Worauf Schaljapin seufzte und meinte: «Vielleicht kommen Sie besser später noch einmal vorbei, so etwa um fünf, dann werden wir sehen, wie ich mich bis dahin fühle.»
Um fünf eilte Sol Hurok abermals vor Mitgefühl triefend in Schaljapins Hotel. Wiederum bestand er darauf, die
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