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Wie man im digitalen Zeitalter richtig aufblueht

Wie man im digitalen Zeitalter richtig aufblueht

Titel: Wie man im digitalen Zeitalter richtig aufblueht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tom Chatfield
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basiert sowie auf Formen politischen Handelns, die mehr an die Wahrnehmung von Bürgerrechten denn an herkömmliche Parteioperationen von oben nach unten erinnern.
    Um zu partizipieren, muss man nur die ideologischen Inhalte überprüfen, digitale und konventionelle Mittel zur Organisation der eigenen Handlungen bereitstellen und unter dem Banner der jeweiligen Bewegung mit der politischen Aktivität beginnen. Es gibt vielleicht Führungsfiguren, aber keine durchgehende Befehlskette. Für gewöhnlich ist es zwar nicht ganz eindeutig, welche Veränderungen eine solche Bewegung von der Welt einfordert, jedoch weitaus klarer, wogegen sie sich wendet. Solange die Machthaber nicht – wie in Teilen des Nahen Ostens geschehen – mit brutaler Gewalt reagieren, können die daraus folgenden Konsequenzen durchaus transformierend und sogar revolutionär sein.
    Der britische Schriftsteller und Philosoph Ren Reynolds prägte eine Metapher, nach welcher diese politischen Trends wie Wellen auf einem Fluss sind – während die Substanz, die ihre Existenz erst ermöglicht, also das fließende Wasser selbst, die neue Realität eines digital vernetzten Zeitalters darstellt.
    Mit zunehmender Vernetzung untereinander beginnen wir die Politik unter neuen Gesichtspunkten zu sehen. Offizielle Parteizugehörigkeit und Wahlbeteiligung sind während der letzten 50 Jahre in den meisten entwickelten demokratischen Ländern stetig zurückgegangen. Das Vertrauen in Politiker befindet sich fast überall auf einem historischen Tiefstand, und die traditionellen Hüter der öffentlichen politischen Meinung – Presse und Rundfunk – stehen in der Gunst und im Interesse des Publikums kaum besser da. Sieht man sich trotzdem die neuesten Schlagzeilen an, fällt es schwer, nichts über Nachrichten von politischen Aktionen zu lesen, an denen bemerkenswerte Anzahlen unterschiedlichster Menschen beteiligt sind: globale Proteste gegen einen bestimmten Fall von Ungerechtigkeit; finstere Organisationen, die Unzufriedenheit und Schrecken säen.

    Occupy Seattle: Eine Welle auf der Oberfläche einer politischen Weltordnung im Umbruch.
(Occupy Seattle © Marilyn Dunstan Photography / Alamy)
    Während der Arbeit an diesem Buch, Ende 2011, erlebten sowohl London als auch New York Besetzungen der Stadtzentren durch die Anti-Konzern-Protestbewegung Occupy – eine Bewegung, die dank alter und neuer Medienaufmerksamkeit in über 900 anderen Städten weltweit gleichzeitig imitiert wurde, in Ländern von Honduras und Bolivien über Deutschland und Japan bis hin zu Serbien und Indien. Den »Prinzipien der Solidarität – Arbeitsentwurf« zufolge, die sich auf der üppigen Webseite der ursprünglichen US-Initiative finden, wagt die Bewegung, sich »eine neue gesellschaftspolitische und wirtschaftliche Alternative vorzustellen, in welcher Gleichheit besser möglich ist«.
    Darüber hinaus bietet die Seite all jenen, die andernorts dasselbe tun möchten, einen »kurzen Leitfaden, wie man eine große Versammlung organisiert«. Das ist eine Ernsthaftigkeit, über die man sich leicht mokieren kann; doch stellen die Leidenschaft und die schiere Masse von Kommentaren, Diskussionen und praktischem Sachwissen einen ernüchternden Gegenpol zu dem eklatanten Mangel an positivem öffentlichen Input zu den meisten Themen der Mainstream-Politik dar.
    Nicht umsonst erklärte die Zeitschrift Time den »Protestler« zum Menschen des Jahres 2011, weil er »die ältesten Techniken mit den neuesten Technologien verbindet … und den Planeten auf einen demokratischeren, wenngleich bisweilen auch gefährlicheren Kurs für das 21. Jahrhundert bringt«.
    Wie in vielen anderen Bereichen hat die neue Technologie auch die Grenzen politischen Handelns grundlegend verschoben. Für die Bürger des 21. Jahrhunderts, die dank des Internets über neue Möglichkeiten der Kontaktaufnahme und der Partizipation in Gruppen mit vielen tausend oder gar Millionen von Mitgliedern verfügen, ist »Politik« weniger eine Folge einzelner Handlungen als vielmehr ein Teil des ständigen Auf und Ab ihres Alltags. Ob wir uns unserer Partizipationsmöglichkeiten bewusst sind oder nicht, ist eigentlich kaum von Bedeutung: Unwissenheit hat ebenso politische Auswirkungen wie Aktivismus. Heute, da sich von der örtlichen Verwaltung bis zur Steuererhebung, Wahlen und persönlichen Daten alles unaufhaltsam in Richtung globaler digitaler Netzwerke verlagert, nehmen die Risiken sowohl politischen Handelns als auch politischer

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