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Wie man im digitalen Zeitalter richtig aufblueht

Wie man im digitalen Zeitalter richtig aufblueht

Titel: Wie man im digitalen Zeitalter richtig aufblueht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tom Chatfield
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Vögeln und Schweinen, in dem jeder einzelne Spieler am Ende jedes einzelne Level meistern kann – und wo der Erwerb der dazu erforderlichen Fähigkeiten ein größtenteils vergnüglicher Vorgang ist.
    In soziologischen Begriffen stellt Angry Birds ein sogenanntes »zahmes Problem« dar. Diese tame problems wurden erstmals 1973 von den Gesellschaftstheoretikern Horst Rittel und Melvin Webber untersucht und umfassen Spiele wie Schach sowie die meisten mathematischen Aufgabenstellungen. Es sind Probleme, bei denen die mit der Lösung befasste Person über sämtliche erforderlichen Daten verfügt und von Anfang an weiß, dass es eine abschließende Lösung oder These gibt.
    Ganz anders die sogenannten wicked problems , die »bösartigen« Probleme, bei denen sich die eigentliche Aufgabe nicht klar definieren lässt, ganz zu schweigen von einer einzigen oder gar definitiven Lösung. Jedes dieser Probleme besteht aus einer einzigartigen Kombination verschiedener Umstände, die ihrerseits mit anderen Problemstellungen verzahnt sind. Ein typisches »bösartiges« Problem wäre etwa die wirtschaftliche Gesundheit eines Landes oder eines Unternehmens oder die Frage nach dem besten Handlungsablauf im Leben eines Menschen. In jedem dieser Fälle ist die einzige Lösung, auf die man hoffen kann, eine Strategie, mit der sich bestimmte Aspekte des Problems »zähmen« lassen: Zerlegt in einzelne Elemente wird eher erkennbar, wie man diese jeweils besser oder schlechter angehen kann.
    So gesehen ist das Leben selbst ein »bösartiges« Problem. Einer der bekanntesten Witze des Sciencefiction-Genres findet sich in Douglas Adams’ Buch Per Anhalter durch die Galaxis . Darin verspricht ein Supercomputer die abschließende Antwort auf die Frage nach »dem Leben, dem Universum und dem ganzen Rest« – sie lautet: 42. Der Witz basiert auf der absurden Diskrepanz zwischen Aufgaben, die sich mit einer Zahl lösen lassen, und dem ganz und gar anderen »Problem«, welches das Leben darstellt. Allein die Vorstellung, dass es für das Leben (ganz zu schweigen vom »Universum und dem ganzen Rest«) eine ähnliche Lösung gibt wie für eine Partie Schach oder eine Runde Angry Birds , ist ein höchst vergnüglicher Nonsens.
    Beim Spiel ziehen wir das Zahme dem Bösartigen vor. Dies ist ein elementarer Grund dafür, warum wir so gerne spielen, und auch, weshalb es im gesamten Tierreich eine solch hohe Bedeutung besitzt. Das Spiel ist ein sicherer Zustand, in dem wir Fähigkeiten erwerben, von Koordination und Kampf bis hin zu Schnelligkeit und Tarnung. Wir spielen, um fürs Leben zu üben – weil das Leben keine Übung ist. In der wirklichen Welt gibt es Ereignisse und Gelegenheiten nur ein einziges Mal. Das ist »die unerträgliche Leichtigkeit des Seins«, um es mit den Worten des tschechischen Schriftstellers Milan Kundera zu formulieren.
    4.
    Vorhersehbarkeit und Wiederholbarkeit zählen zu den größten Freuden der digitalen Sphäre. Jeder kann der Held seiner eigenen Geschichte sein und dabei Fortschritte und Erfolge erleben. Wer gelangweilt oder entfremdet ist, kann seine Lebenszufriedenheit mit einer Leichtigkeit steigern, der die Realität nicht hinterherkommt – oder sich aus unerträglichen Umständen zurückziehen.
    Im November 2008 beschrieb die britische Romanautorin Naomi Alderman im Guardian , wie sie 2001 in Manhattan durch Videospiele einer Wirklichkeit entfloh, die nach den Anschlägen vom 11. September temporär zu einem unerträglichen Maß mit Angst erfüllt war.
    Aldermans Lieblingsspiel war Diablo II . In einer Fantasiewelt voller Dämonen und Legionen Untoter spielt man die Heldenfigur und kann sich mit Freunden zusammenschließen, um eine feindliche Übermacht zu bezwingen. »Ich erinnere mich, dass ich mich nach vier Stunden Diablo II fühlte, als käme ich von einer Ferienreise zurück«, schrieb sie. »Ich war dankbar für die Möglichkeit, die Bilder wahren Grauens auszublenden, die meine Stadt erfüllten. Das Spiel fesselte mich derart, dass für das sorgenvolle Grübeln, das meine übrige Zeit einnahm, kein Platz mehr blieb. Das war ein unglaublicher Segen.«
    In Spielwelten wie der von Diablo II – eigentlich innerhalb der Grenzen jedes gut durchdachten digitalen Angebots – lassen sich ein paar der bösartigsten Probleme des Lebens wenigstens zeitweise durch eine zahmere Spezies von Erlebnissen ersetzen. Schriftsteller und Theoretiker wie Jane McGonigal haben dargelegt, dass dieses Prinzip zudem auch eine

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