Wie man leben soll: Roman (German Edition)
Konservativen, doch die Rechten legen eklatant zu. Es wird Bier getrunken und diskutiert.
Da man sich für Politik in minderem Maß interessiert als für niedere Schweinereien, geht man nochmals mit Edith ins Nebenzimmer.
Danach hat man alles erlebt, was an derartigen Partys erlebenswert ist. Da man von der narbengesichtigen Frau, von der man den ganzen Abend nicht den Blick wenden kann, nicht bemerktwird, winkt man in die Runde und verschwindet. Niemand ruft, man solle bleiben.
In solchen Situationen empfiehlt es sich, zu Hause zu masturbieren und dabei an die Jungsozialistin zu denken.
Später schämt man sich. Man trinkt Apfelsaft und denkt über Männer nach. Sie sind fürchterlich. Man fragt sich nur, wieso es solchen Spaß macht, einer zu sein.
Wenn man das Glück hat, den Tag zu erleben, an dem Deutschland wiedervereinigt wird, kann man sich einer melancholischen Stimmung nicht erwehren. Immerhin braucht man auch nicht mehr soviel Angst vor einem Atomkrieg zu haben. Während man sich die Feiern im Fernsehen ansieht, überlegt man, Claudia oder Iris anzurufen, die man zuweilen auf einen Kaffee trifft.
Wenn man zur Abendmasturbation schreitet, erinnert man sich an das Kontaktmagazin aus dem Besitz Onkel Johanns. Man zieht es unter dem Bett hervor, sucht die ansprechendsten Inserate und beantwortet sie, wobei man wie ein Besessener weitermasturbiert. Da man sich dessen bewusst ist, dass man diese Briefe später selbstverständlich nicht abgeben wird, läuft man mit ihnen auf die Straße. Wenn man sie einwirft, ist man sicher, dass nie zuvor jemand mit einer so peinigenden Erektion vor einem Briefkasten stand.
Nun hat man sich selbst überlistet. Geil, wie man ist, hofft man, bald Post zu bekommen.
Man kehrt nach Hause zurück und kann endlich fertigmasturbieren. Danach geht man ins Badezimmer, wäscht sich die Hände und ohrfeigt sich kräftig. Einmal, zweimal, dreimal.
Nun hat man sich in der Tat selbst überlistet. Ernüchtert, wie man ist, betet man, keine Post zu bekommen.
Man erwägt, den Briefkasten mit einer Packung Feuerwerkskörper zu sprengen. Aber jemand, der der Definition des Sitzers aus
Die Persönlichkeit
zu einem so hohen Prozentsatz entspricht,ist für derartige Unternehmungen nicht der geeignete Mann.
Merke: Im Zustand sexueller Erregung steht man Dingen aufgeschlossen gegenüber, deren Reiz einem später rätselhaft bleibt.
Wenn man an diesem Tag im Clublokal der Sozialistischen Studenten vorbeischaut, trifft man nur depressiv Verstimmte. Vierteln hätten sie dieses Land sollen, sagt einer, und ein anderer: Ich bin zu kämpfen bereit.
Man sieht zu, dass man wegkommt.
In seinem Stammlokal Priamus trinkt man ein Bier. Man spielt Karten mit ein paar Türken. Man dreht den Kopf, um eintretende Frauen zu begutachten. Man ist einsam. Man hätte gern eine Freundin. Man fragt sich, was das ganze Politiktheater soll. Es ist egal, wer an der Macht ist. Zumindest solange es keinen Diktator gibt. Wichtig ist, dass man zu Hause sicher ist, ein paar gute Stunden vor dem Fernseher erlebt und zu zweit einschläft.
Sucht man einen Partner, findet man keinen. Hat man zufällig einen gefunden, tauchen weitere interessante Kandidaten auf. Dies ist eine sehr wichtige Erkenntnis, die einem nur dann nichts nützt, wenn man gerade einen Partner sucht.
An diesem Abend entschließt man sich, zum ersten Mal im Leben ein Bordell zu besuchen. Dieses Vorgehen hat nur am Rand sexuelle Gründe. Geschlechtsverkehr ist, das hat man begriffen, viel mehr als der Weg zur schönsten möglichen Ejakulation. Er bedeutet die intimste Verbundenheit, die es zwischen zwei Menschen geben kann. Also versucht man herauszufinden, ob sich diese Verbundenheit kaufen lässt.
Wenn man das Bordell verlässt, ist man um eine Illusion ärmer.Außerdem kommt einem allmählich zu Bewusstsein, dass man gerade sein Abendessen für die nächsten zwei Wochen verjubelt hat. Noch immer den Kopf schüttelnd, kauft man dem Kolporteur die Zeitung von morgen ab.
Man lehnt sich gegen einen Hydranten und studiert die Jobinserate. Die Augen weiten sich, wenn man auf der Anzeigenseite ein Foto von sich selbst entdeckt. Unter dem Bild steht:
Kaum zu glauben, aber wahr,
unser Bursch ist einundzwanzig Jahr!
Zu Deinem Wiegenfeste wünschen wir Dir das Allerbeste!
Glück, Gesundheit, Gaben fein sollen Deine Begleiter sein!
Mutti, Tante Kathi, Onkel Johann, Onkel Hansi und
Tante Wilma & die »Seifensieder« aus
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