Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Wie man leben soll: Roman (German Edition)

Wie man leben soll: Roman (German Edition)

Titel: Wie man leben soll: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thomas Glavinic
Vom Netzwerk:
Hunderter gegeben, und er hat einem mit flinken Fingern zwei Stapel zu je zehn Fünfern hingestellt. Denkt man. Beim Zählen merkt man, dass es nur je neun sind. Man will reklamieren. Dann winkt man ab.
    Minuten später fragt man sich, wieso man plötzlich so bedrückt ist. Als hätte man etwas Bedrohliches zu gewärtigen.
    Man erinnert sich an das, was man in
Die Persönlichkeit
gelesen hat: Ein Sitzer wehrt sich nicht, wenn er beim Einkauf betrogen wird. Ja, so steht es dort, wortwörtlich. Und man soll bitte ankreuzen:
     
    ○ jede Stunde
    ○ jeden Tag
    ○ jede Woche
    ○ oft
    ○ mitunter
    ○ selten
    ○ nie
     
    Ist man ein Sitzer, wartet man in der Straßenbahn so lange, bis der letzte freie Platz besetzt ist. Hat man doch einen bekommen, erhebt man sich sofort, wenn eine alte Frau einsteigt, nur um nicht ermahnt zu werden. ◉ jede Woche
    Ist man ein Sitzer, widerspricht man nie, auch wenn man anderer Meinung ist, weil man nicht die Sympathie, die einem der andere entgegenbringt, aufs Spiel setzen will. ◉ jeden Tag
    Ist man ein Sitzer, begehrt man nicht auf, wenn sich im Laden jemand vordrängt. ◉ oft
    Ist man ein Sitzer, bestätigt man dem Installateur, alles sei nun in Ordnung, obwohl der Wasserhahn noch immer tropft. Man winkt ab und sagt sich, ich schone meine Nerven. ◉ selten; aber nur, weil der Hahn selten tropft.

 
    Da Tante Kathi der Überzeugung ist, ein junger Mensch müsse möglichst früh Bekanntschaften zu maßgebenden Persönlichkeiten knüpfen, und sie darüber hinaus den Seifensieder für jemanden mit »Beziehungen« hält, besteht sie darauf, dass man sich mit ihm gut stellt und ihn von Zeit zu Zeit besucht.
    Gegen die Wünsche Tante Kathis gibt es keinen Einspruch, und so wählt man eines Tages die Telefonnummer des Seifensieders, um sich nach seinem Befinden zu erkundigen.
    Zunächst ist man erstaunt, als man sogleich von ihm nach Hause eingeladen wird. Doch nach näherer Überlegung und Konsultation von
Durchschauen Sie die vier Charaktertypen
versteht man. Der Seifensieder ist ein einsamer Mensch, dem nicht einmal mehr seine Frau zuhört, und er ist ständig auf der Suche nach Unschuldigen, denen er die Geschichte seines Lebens erzählen und sein Heimwerkerstudio zeigen kann. Man war schon gut zwei Jahre nicht mehr da unten, und wenn man sich diesen stinkenden, kalten Raum vorstellt, schüttelt es einen.
    Mit zusammengebissenen Zähnen stellt man den Wecker auf sieben.
     
    Der Seifensieder macht auf. Er schaut über einen hinweg und klopft gegen das Glas seiner Armbanduhr. Es ist zwei Minuten nach acht. Man entschuldigt sich, der Bus sei in einen Stau geraten.
    Er bietet Kaffee an. Man sagt ja, bitte, doch er ist schon aufdem Weg nach unten und winkt, man solle ihm folgen. Seiner Frau ruft er zu, er sei mit dem Burschen unten an der Arbeit. Man kann sich nicht erinnern, von ihm jemals Charlie genannt worden zu sein. Für ihn ist man »der Bursche«, allenfalls mal Karl.
    Wenn man als handwerklich ungeschickter und desinteressierter Mensch einen Heimwerkerkeller betritt, fühlt man sich wie bei einem Besuch auf der Leprastation. Alles ist dreckig, überall stehen Maschinen herum, man tritt gegen Metallgegenstände und holt sich Beulen. Es stinkt nach Öl, es zieht, und inmitten dieses ungemütlichen Durcheinanders steht der schielende Seifensieder mit einem vor Stolz glänzenden Gesicht.
    Als sei man zum ersten Mal hier, macht der Seifensieder einen Rundgang. Er legt die stark behaarte Hand auf Gegenstände und erklärt umständlich, wozu sie nütze sind. Dann und wann greift er zu einer Tasse, aus der er geräuschvoll Kaffee schlürft. Man selbst hat noch immer nichts. Etwas zu sagen, traut man sich nicht.
    Nachdem man die Einrichtung gebührend gewürdigt hat, ist der Seifensieder zufrieden. Er dreht die
Fidelen Mölltaler
laut und beginnt an einem alten Elektroherd herumzuschrauben.
    Eine Hand in den Hosentaschen, schlendert man umher. Verstohlen reibt man sich die Augen. Nirgends entdeckt man ein Objekt, dem man aufrichtiges Interesse entgegenbringen könnte.
    Von Zeit zu Zeit bellt der Seifensieder ein Kommando. Man springt zu ihm, um ihm Werkzeug zu reichen. Bald hat man Flecken auf der Hose. Angeekelt entdeckt man Trauerränder unter den Fingernägeln.
    In den Pausen zwischen den Liedern der
Mölltaler
fragt der Seifensieder, warum man so winsle, ob einem etwas weh tue. Man antwortet, man winsle ja gar nicht.
     
    Das alles dauert lange und macht nicht gerade Spaß. Man

Weitere Kostenlose Bücher