Wie man leben soll: Roman (German Edition)
Tulln!
Wenn einem Derartiges widerfährt, glaubt man, in die Hölle zu schauen.
Zunächst überlegt man, ob es durchführbar ist, in sämtlichen Lokalen alle aufliegenden Exemplare der Zeitung aus dem Verkehr zu ziehen. Es ist ausgeschlossen. Diese Anzeige wird ihren Weg machen.
Man betrachtet das Foto genauer. Es ist ein älterer Schnappschuss, vermutlich vom vorvorletzten Weihnachtsfest. Aber gut getroffen. Man braucht sich wenigstens nicht für seinen Anblick zu genieren.
Man fragt sich, ob Paoletta das Inserat sehen wird.
Es ist ein sonderbares Gefühl zu wissen, dass bald hunderttausend Leute erfahren, dass man existiert. Und hätten nicht Mutti, die Tankels und sogar der Seifensieder die Hand im Spiel, könnte man sich sogar damit anfreunden.
Die Zeitung zusammengerollt in der Hand, schlendert man nach Hause. Mit offenen Augen träumt man vor sich hin.
Man ist ein anerkannter Kunsthistoriker, der gerade im Garten eines Lokals von einer schönen Journalistin interviewt wird. Eine Gang von Motorradfahrern nähert sich mit ohrenbetäubendem Knattern. Ringsum fliehen die Leute, weil diese Bande für ihre Gewalttätigkeit und Wildheit berüchtigt ist. Auch die Journalistin will aufspringen, doch man legt ihr in aller Ruhe die Hand auf den Arm. Der Anführer der Gang grüßt, fragt nach dem Befinden, er sagt Sie und ist freundlich. Man setzt die schwarze Sonnenbrille ab und tut so, als müsse man sich erst erinnern, wen man da vor sich hat. Man sagt Du und ist auf eine herablassende Art höflich. Die Bande verschwindet. Alle Leute sehen einen bewundernd an. Paoletta war in der Nähe, sie hat alles beobachtet. Die Journalistin will wissen, woher man solche Macht über diese Leute hat. Man zuckt die Schultern.
Wenn man keinen Partner hat, an der Universität nichts mit sich anzufangen weiß, sich nur widerwillig im Eigenstudium weiterbildet und ganz allgemein wenig Perspektiven sieht, das Selbstbildnis mit der Wirklichkeit in Einklang zu bringen, dann geht man mit Mirko ins Jack Point.
Das Jack Point ist eine riesige Spielhalle. Frauen sieht man dort so gut wie nie. Allenfalls mal eine rauchende Fünfzehnjährige in Jeansjacke und mit billiger Dauerwelle, die einen Halbstarken begleitet. Die Stammkundschaft besteht aus Jünglingen mit schlechten Zähnen sowie Wesen undefinierbaren Alters mit dicken Brillen und gesenktem Blick, die an Regenmantelexhibitionisten erinnern. Überhaupt herrscht in der Spielhalle eine Stimmung wie in einer Peep-Show. Niemand kümmert sich um den anderen. Alles scheut sich, mit anderen in Kontakt zu treten. Man hört nur das Gedudel der Spielautomaten.
Wäre das Jack Point ein Ort, an dem die Menschen voneinander Notiz nehmen, wäre man dort bald eine bekannte Figur. Ein Dicker mit schwarzem Mantel, weißem Hemd und schwarzem Hut, der ständig ein Lied auf den Lippen hat, ist keine alltägliche Erscheinung. Doch im Grunde freut man sich, dass sich niemand umblickt. Die Gesellschaft, in die man in dieser Halle gerät, ist nicht vom Feinsten. Zumal um die Ecke ein Männerheim ist.
Das Essen in der Kantine ist abscheulich. Man riecht altes Fett und sieht in der Vitrine Mücken und Fliegen sich an den Mehlspeisen laben. Aber es gibt dort den besten Kartoffelsalat weit und breit. Man hat zwar ein schlechtes Gewissen, wenn mansich fünf oder sechs Portionen hintereinander hineinstopft, doch man kann nicht genug davon kriegen.
Merke: Wenn man beim zweiten oder dritten Besuch einer Spielhalle den teuflischen Fünferautomaten entdeckt, betritt man den dornigen Pfad der Sünde.
Man wirft eine Fünfschillingmünze ein. Schaufeln schieben die Münze in einen Haufen anderer Münzen. Wenn man geschickt ist und Glück hat, bringt gerade die eine eingeworfene Münze das fragile Zufallsbauwerk anderer Fünfer zum Einsturz. Auf diese Weise fallen drei, fünf, vielleicht aber gar zwanzig Fünfer nach unten, die man dann einstecken darf.
Teuflisch ist der Automat, weil bei aller Umsicht und vermeintlicher Raffinesse des Spielers niemals so viele Fünfer hinunterfallen wie eingeworfen werden. Das will kein Spieler wahrhaben. Man sagt, einen Einzigen wolle man noch versuchen. Diesen Satz wiederholt man so oft, bis man weit mehr Geld verloren hat, als Tante Ernestine pro Tag zu spenden bereit ist.
Um solchen und anderen Frust zu bewältigen, ist es ratsam, sich am Flipperautomaten abzureagieren.
Wenn man im Jack Point Geld wechselt, zählt man nach. Man hat dem Kassier einen
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