Wie man leben soll: Roman (German Edition)
Der Mann geht auf einen los, man weicht geschickt aus, man springt herum, dabei immer die Hände in den Taschen. Ein Kreis von Zuschauern hat sich gebildet. Da – der Messermann greift an und lässt eine Lücke offen. Ein Tritt, und das Messer fliegt in einem Bogen weg. Er dringt mit den Fäusten auf einen ein. Locker weicht man aus, man lacht. Immer wieder gelingt es, den Kerl mit Tritten zu treffen. Er blutet und humpelt. Das Publikum jubelt. Kleine Jungen verhöhnen den Mann.
Merke: Wenn man seinen Tagträumen in Straßencafés nachhängt, kann es geschehen, dass man ganz unbeabsichtigt den
Tisch, an dem man zu sitzen beliebt, mit einem eleganten Karatetritt vor ein fahrendes Auto befördert und damit allseits Empörung und Missmut auf sich zieht.
Da Hilde keine Schlampe ist, muss sie zu viele Pornohefte gelesen haben, dass ihr eine so blöde Bezeichnung für sich eingefallen ist. Hilde und Leo sind gewinnende Leute, man mag sie. Wenn man mit einem Glas in der Hand auf ihrer Elefantenledercouch sitzt, fragt man sich, ob man mit dem, was man bei ihnen und mit ihnen tut, niemanden verletzt. Doch Leo hat von Anfang an klargestellt, er gestatte körperlicher Eifersucht nicht, Macht über ihn zu gewinnen. Dies sei eine nahezu notwendige Lebensstrategie. Jedenfalls wenn man ein glückliches Leben führen wolle, in dem man sich nichts versage.
– Wenn du Hilde heimlich triffst, setzt es Prügel, sagt er. Wenn ihr es hier vor mir treibt, bin ich zufrieden.
Und nicht einmal das meint er so, wie er es sagt. Leo könnte niemandem Gewalt antun. Er ist der sanfteste Mensch, den man je getroffen hat.
Merke: Wenn man ein Swingerpärchen gut kennt, sollte man es zur Sitte machen, den eigentlichen Sinn des Treffens zunächst zurückzustellen und sich statt dessen gegenseitig durch Frivolitäten und schlüpfrige Konversation anzuheizen.
Leo ist Sexualtheoretiker. Zu allem hat er eine Theorie. Er sagt, gerade in einer Zeit, die jeder Ideologie und jedes Sinnes entbehrt, gilt es, seinen Horizont zu erweitern, und auf ungezwungene Gespräche über Sexualität darf man zu diesem Zweck nicht verzichten. Es gibt zu viele Menschen auf der Welt, die zu feigesind, sich die insgeheim ersehnte Befriedigung zu verschaffen, und solche Menschen entwickeln sich aufgrund dieser überflüssigen und unredlichen Selbstkasteiung früher oder später zu perversen Bestien. In der Erziehung, behauptet Leo, würden zwei wesentliche Aspekte des Lebens vernachlässigt: Essen und Geschlechtlichkeit. Damit die Gesellschaft nicht Gefahr laufe, eines Tages aus hungernden Sadisten zu bestehen, wäre es wünschenswert, wenn Eltern dazu verpflichtet würden, ihren Kindern eine profunde Ausbildung in Kochen und Sexualverhalten mit auf den Lebensweg zu geben.
Wenn man solche Reden hört, ist man insgeheim stolz, so gescheite Bekannte zu haben, und man bildet sich nicht wenig darauf ein, dass die Frau eines Sexualtheoretikers mit einem schläft.
In der Stunde, die man mit Hilde und Leo in ihrem Wohnzimmer verbringt, ehe man von Hilde gebeten wird, sie einzuölen oder sich die Videokamera zu schnappen, staunt man immer wieder über die Offenheit, aber auch über die Phantasie seiner Gastgeber. Dass Menschen so ungeniert über ihre Wünsche sprechen, ist eine neue Erfahrung. Besonders bemerkenswert daran findet man, dass Hilde und Leo normale Menschen sind, die aus dem Alltag in ihrem Geschäft erzählen. Sie wissen einiges von der Welt. Wenn man Probleme hat, sind sie mit gutem Rat bei der Hand.
Erwähnt man die Achtzigtausend aus der Erbschaft, richten sich Hilde und Leo im Sitzen auf und machen Ah und Oh. Du musst es anlegen, ruft Leo, Aktien kaufen.
Die beiden werden energisch, reden auf einen ein. Sie nennen bestimmte Geldinstitute. Er holt Papier und Füller, schreibt die Telefonnummer seines Bankfachmannes auf. Dabei ist er nur mit einem seidenen Tanga-Slip bekleidet. Auch Hilde ist fast nackt. Ihre Brüste liegen in einer Art Geschirr, das durchsichtig ist. Unten trägt sie bloß Strapse. In einem solchen Aufzug überGeldgeschäfte zu dozieren ist mutig und schenkt dem Betrachter heimliche Heiterkeit.
Die Erbschaftsdiskussion findet erst ein Ende, als Hilde unvermittelt erklärt, ihr stehe der Sinn nach einem Sandwich. Ihr Ton ist so harmlos, dass man sekundenlang tatsächlich in die Küche gehen will.
Im Leben gelangt man immer wieder an einen Punkt, an dem man mit seinem Freundeskreis unzufrieden ist, neue Gesichter und
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