Wie man leben soll: Roman (German Edition)
Getränkekisten für sie schleppt und auch nicht böse wird, wenn sie einen als Idioten oder Schafskopf bezeichnet und vor anderen heruntermacht. Wegen Geld auf sie verzichten? Da isst man lieber trockenes Brot. Außerdem können die Achtzigtausend aus der Erbschaft nicht mehr lange auf sich warten lassen.
Wenn man in würgenden Geldnöten steckt und eine Überweisung erwartet, verdrängt man alle Gewissensbisse und läuft jeden Tag zur Bank, um zu erkunden, ob das Geld endlich gekommen ist. Man will es nicht, weil man den ehemaligen Besitzer ins Jenseits befördert hat, doch man braucht es. Und zwar dringend. Man muss mit der Situation umgehen. Man hat Schulden. Schulden! Die Bank will das Geld, das man aus ihren Automaten zieht, also irgendwann zurück!
Außerdem hat man in einer Auslage schicke Stiefel gesehen. Laura möchte man zum Essen in ein Nobelrestaurant einladen. Den Schwarzen Afghanen, von dem die Faust-Leute schwärmen, würde man gern in Ruhe probieren. Wenigstens einmal. Dazu braucht man passende Musik. Beim Schicksal wird man sich für dieses Geschenk durch universitäre Strebsamkeit erkenntlich zeigen.
Nachdem man endlich schwarze Zahlen auf dem Kontoauszug gesehen hat, ruft man Mirko an und bittet ihn, einem bei der Einkaufstour Gesellschaft zu leisten.
Wenn man bestimmte Stiefel sehr schick findet, kauft man zwei Paar. Es kann vorkommen, dass einem im nächsten Geschäft eine Lederjacke ins Auge sticht. Da eine neue Hose her muss, wird auch im Jeansladen nicht gekleckert.
Weiter geht es ins Musikhaus. Die Platte von diesen Blumfeld muss man unbedingt haben. Und ein paar andere Sachen. Man hat eine Liste gemacht. Man kauft, kauft, kauft. Auch Mirkoschleppt Platten an, die er für gut hält. Um ihm eine Freude zu machen, kauft man sie sich. Wenn sie nichts taugen, schenkt man sie ihm.
Merke: Wenige Dinge auf der Welt sind so aufbauend wie eine Einkaufstour, bei der man mit Geld um sich werfen kann.
Mit Tüten und Taschen beladen, trifft man auf der Straße die Frau mit den Narben, die man bei Ediths Wahlparty kennengelernt hat. Da man laut Test in
Die Persönlichkeit
ein siebenundachtzigprozentiger Sitzer, ein zweiundachtzigprozentiger Mitläufer und ein sechsundfünfzigprozentiger Trickser ist, aber nur ein zehnprozentiger Schulterzucker und ein gar nur dreiprozentiger Draufgänger, sagt man nicht, was man gern sagen würde: Gehen wir einen Kaffee trinken? Man nickt ihr zu, man lächelt, doch man bringt keinen Ton hervor.
– Gehen wir einen Kaffee trinken?
Fragt Mirko.
– Gern!
Sagt die Narbenfrau.
Zu dritt geht man in ein nettes Lokal.
Conny heißt sie. Mit den Faust-Leuten hat sie nicht mehr viel zu tun. Lieber konzentriert sie sich auf ihr Pharmaziestudium. Geld verdient sie, indem sie Beipacktexte schreibt. Sie nestelt an einer silbernen Halskette und fragt, was man selbst so treibt. Mirko, dem man damals von der Frau erzählt hat und der gern Kuppler spielt, nimmt sich entgegen seinen Gewohnheiten zurück und tritt einem aufmunternd auf die Zehen.
Wenn man als passionierter Nichtstuer unverblümt gefragt wird, womit man seinen Lebensunterhalt bestreitet, ist dem Fragenden jede Antwort vorzuenthalten, um das Gesicht zu wahren.
Glücklicherweise kann man die Frau mit den zarten Fingern durch die Eröffnung beeindrucken, man studiere so halb und halb, lese Fromm und kraule eine Katze. Conny lacht. Dadurch gelingt es einem beim dritten Versuch, die Kaffeetasse an den Mund zu führen, ohne dabei etwas zu verschütten.
Eine Weile versucht man sich im Flirten. Eine Abart gesellschaftlicher Umgangsformen, die man nur unzulänglich beherrscht, solange ein hämisch grinsender Freund danebensitzt. Man macht ihm Zeichen zu verschwinden. Den Schuft berührt das nicht. Schließlich muss Conny gehen. Es gelingt, Telefonnummern auszutauschen. Man winkt ihr nach.
– Na siehst du, sagt Mirko.
Man fragt nicht nach, was er damit meint. Man setzt sich wieder. Der Kellnerin bedeutet Mirko, sie möge Bier bringen.
Man versinkt in einen Traum, in dem Conny auf der Straße von zwei Unbekannten zu einem Auto gezerrt wird. Sie schlägt um sich und schreit um Hilfe. Man kommt lässigen Schrittes hinzu, sagt »Gestatten!« und schlägt dem ersten so an die Schläfe, dass er zusammenbricht. Der zweite lässt Conny los und zieht ein Springmesser. Er fuchtelt damit vor einem herum, lacht hämisch. Man schiebt die Hände in die Hosentaschen und grinst ihn an. Conny schaut bange.
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