Wie man leben soll: Roman (German Edition)
neue Ansichten kennenlernen will, denn der Mensch ist von Natur aus neugierig.
Um Leute kennenzulernen, empfiehlt es sich, mit Laura in ein Programmkino zu gehen und sich dort an die Theke der Cafeteria zu stellen. Damit schlägt man zwei Fliegen mit einer Klappe. Zum einen beweist man Laura Geschmack und Intellektualität, zum anderen steht man neben einer Runde von Filmfreaks, eine Sorte Mensch, die kennenzulernen sich lohnt. Obwohl ein Cineast jemand ist, der entweder zu faul oder zu dumm ist, Bücher zu lesen (
Die große Geschichte der Rockmusik, psychologisch betrachtet
).
Sich für Filmkunst interessierende Intellektuelle sind entweder sehr adrett oder sehr schlampig angezogen. Manchen gelingt sogar beides zugleich. Bier trinken sie aus der Flasche. In dialektlosem Deutsch reden sie über Kunst. Sie lieben Jim Jarmusch, Amos Poe, Johanna Heer und einen Haufen anderer Leute, von denen man noch nie gehört hat. Sich bei solchen Menschen ins Gespräch einzumischen, bringt neue Freunde und Perspektiven.
Merke: Wenn man von Menschen, denen man sich unterlegen fühlt, akzeptiert wird, ist man glücklich und will es ihnen in allem gleichtun, bis man auch sie irgendwann überwunden hat.
Weil einer der Kinointellektuellen unglaublich schön ist, beschließt man noch an der Theke, sich die Haare wachsen zu lassen. Ein Intellektueller, der auf sich hält, ist freien Geistes und darf das Haar tragen, wie es ihm beliebt.
Auch nach der Vorstellung unterhält man sich mit der Runde. Mit dem Schönen spricht man über den Film. Man hört sich die Meinung des anderen an und stimmt dann in sein Lob ein, der Film sei phantastisch gewesen. In Wahrheit hat man sich gelangweilt. Da Laura nicht knutschen wollte, hat man sich den Film wirklich ansehen müssen. Eine Weile schwärmt man von der Leistung der Schauspieler.
– Charlie, könntest du bitte endlich aufhören, solchen Blödsinn zu reden? Das beste wird sein, du sagst gar nichts. Und du, du da mit den langen Haaren, du kommst mir gerade recht …
Als habe man mit einem Prügel eins übergezogen bekommen, verstummt man. Man weiß schon einige Zeit, dass Laura eine scharfe Zunge hat. Nun erfahren es die Kinointellektuellen. Bornierte Affen, die vom Leben keine Ahnung hätten, nennt sie die Männer an der Theke, und in dem Film sei es um die Liebe gegangen. Mit rotem Kopf, die Hände in den Taschen, steht man daneben und wartet, bis sie fertig ist.
Was drei Prozent Draufgänger bedeuten: Es gibt Situationen, in denen man es erfährt.
Die Hände in den Taschen des Anoraks vergraben, macht man sich mit Laura schweigend auf den Weg in ein Lokal. Es ist neblig. Mit einem gleichmäßigen Rauschen fahren die Autos über die nasse Straße. Man hat keinen Vorschlag, wohin man gehen könnte. So überlässt man Laura die Wahl.
Wenn ein Idiot sich einen Hund hält, sieht oft auch der Hund aus wie ein Trottel. Meist sind das kleine, degenerierte Tiere, die von ihren Besitzern als bewegliche Zimmerpflanze gehaltenwerden. Der drastischsten Ausprägung dieser Variante begegnet man zweihundert Meter vom Kino entfernt.
Ein Mann führt seinen Hund, einen Airedaleterrier. Der Hund selbst sieht gar nicht aus wie ein Trottel, doch er trägt Kleidung: ein Stück roten, karierten Stoff um den Leib, was aussieht wie eine Art Schottenrock. Über den Pfoten wieder Stoff, hier weißer, so dass der Eindruck erweckt wird, das Vieh habe Handschuhe an. Außerdem trägt der Terrier eine Jeansjacke, die vom Schnitt her moderner ist als alles, was man zu Hause im Schrank hängen hat. Auf dem Kopf sitzt eine Kappe, an der ein Blümchen klebt.
Wenn man einem Hund begegnet, der von seinem Besitzer missbraucht wird, fühlt man solches Mitleid mit der Kreatur, dass für einen Moment drei Prozent Draufgänger stärker sind als siebenundachtzig Prozent Sitzer.
Man geht zu dem Hundebesitzer und gibt ihm zwei Ohrfeigen, eine links, eine rechts. Dazu sagt man:
– Es ist eine Schande, was Sie dem Hund antun.
Einen Moment schaut der Besitzer verdattert. Dann schlägt er zurück. So fest, dass einem die Brille davonfliegt und man sich hinsetzt. Hat man selbst zwei eher schwache Ohrfeigen ausgeteilt, die mehr als Geste gedacht waren, bekommt man von ihm eine zurück, die man nicht als Geste interpretieren kann.
– Das ist nicht mein Hund!, sagt er und blickt wütend auf einen herab. Ich werde dafür bezahlt, dass ich das Vieh ausführe. Dieser Aufzug, glaubst du, der ist meine Idee?
–
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