Wie man leben soll: Roman (German Edition)
drückt man ihnen die Augen zu und sagt: Für sie habe ich leider nichts mehr tun können.
Aus diesen Phantasien wird man durch Mirko gerissen, der einem auf den Rücken drischt und fragt, warum man so zucke.
Noch ehe er sein erstes Glas bekommen hat, muss man ihm von Laura erzählen. Danach klärt man ihn über das neue Leben auf, das zu führen man wild entschlossen ist. Müßiggang und Spielhalle seien Teufelswerk. Mit Verstand und Energie müsse man dem Leben entgegentreten, das Leben sei eine Herausforderung.
– Und du bist ein Trottel, sagt Mirko, gehen wir ins Jack Point.
– Nur mit dem Taxi, erwidert man.
Merke: Einem Ziel hinterherzulaufen gestaltet sich schwierig, wenn man es nicht kennt.
Da Ascuas, Jack Point,
Kronenzeitung
, Priamus und Laura bequemer sind als Kant, Fromm, Sartre, Kunstgeschichte, Kochen lernen und Liegestütze, geraten gewisse hehre Ziele allmählich in Vergessenheit.
Zuweilen besucht man die alten Freunde vom Studentenverband. Mehr als einmal lässt man sich überreden, mit ihnen einen Joe zu rauchen. Wird im Jack Point ein neuer Automat aufgestellt, leistet man sich den Luxus, so lange daran zu spielen, bis man den höchsten Level beherrscht. Im Priamus hört man als geduldeter stummer Gast nächtelang zahnlosen Künstlern zu, wie sie Gesellschaftsentwürfe und Kunsttheorien entwickeln. Niemand kann behaupten, man bilde sich dabei nicht weiter. Der Umgang mit Künstlern ist erfrischend und ehrenwert, und es hat nichts zu bedeuten, dass sie fünfzig sind, literweise Bier und Schnaps in sich hineingießen und von niemandem gekannt werden.
Von Zeit zu Zeit wird man indes verschiedener Menetekel gewahr.
Der Faust-Vorsitzende hat Nikotinflecken an Ringfinger und kleinem Finger.
Im Jack Point belauscht man ein Gespräch zweier Stammgäste, in dem man als der »Pfarrer« bezeichnet wird.
Man trägt nur noch Slipper, da beim Bücken der Bauch imWeg ist und schmerzt und man so keine Schnürsenkel binden kann.
Weil man zu oft und zu lange im Priamus sitzt, scheißt Ascuas aus Protest in die Badewanne.
Man hat die
Kronenzeitung
abonniert.
Man kann ganze Passagen aus
Der Ölprinz
auswendig und deklamiert sie unter der Dusche zur Melodie von
Knowing me, knowing you
, während man ohne direkten Sichtkontakt sein Genital wäscht.
Wenn man immer wieder einen toten Punkt erreicht, sehnt man sich nach neuen Optionen. Da Laura eine solche ist, schmerzt ihr Zögern, sich auf eine Beziehung einzulassen, doppelt. Man sucht Halt bei Erich Fried. Mit Jammermiene läuft man umher, bis man in einem Ratgeber liest, Männer mit schwächlicher Ausstrahlung würden von Frauen als nicht attraktiv empfunden. So lässt man die Gedichtbände in der ledernen Aktentasche verschwinden, die man immer bei sich trägt, und liest lieber in
Die Augen verraten es
.
– Du brauchst doch auch Geld. Komm mit. Von den anderen darf aber niemand etwas erfahren.
Der Faust-Vorsitzende drückt seine Zigarette an der Hausmauer aus und blickt sich um, als habe er Angst vor Agenten. Man steht mit ihm vor der Tür des Verbandslokals. Eben hat er einem vorgeschlagen, mit ihm für ein paar Wochen nach Deutschland zu gehen und dort für das Rote Kreuz zu werben. Diesen Job hat er in den letzten Sommerferien gemacht und dabei einen Haufen Geld verdient, was aber seine Mitgenossen nicht wissen dürfen, da er diese lieber im Glauben lässt, er habe als Praktikant in einem Kibbuz geschuftet.
– Das kann ich sicher nicht, sagt man.
– Das kannst sogar du. Du gehst von Tür zu Tür, schaustfreundlich und bringst die Leute dazu, monatlich eine gewisse Summe von ihrem Konto an das Rote Kreuz überweisen zu lassen. Das ist nicht schwer! Das sind Deutsche! Die haben ein schlechtes Gewissen! Die sind spendabel!
– Na, ich weiß nicht …
Er steckt sich die nächste Zigarette an, eine kubanische Marke, Mitbringsel von der letzten Solidaritätsreise, und blickt wieder über die Schulter. Er verrät, wieviel er in den sechs Wochen im Sommer verdient hat. Man reißt die Augen auf.
– Ja, ja, lacht er. Und vergiss nicht, wir sind zu zweit, das wird lustig.
Man verspricht, es sich zu überlegen. Freilich weiß man schon, dass man ablehnen wird. Von zu Hause weg? Für ein paar Wochen? Ins Nichts hinein? Brrr! Und Laura, sie zurücklassen? Seit einiger Zeit streift sie einen wie zufällig, fasst sie einen am Arm. Es scheint ihr zu gefallen, dass man sich im Lokal von ihr herumkommandieren lässt, die schweren
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