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Wie man leben soll: Roman (German Edition)

Wie man leben soll: Roman (German Edition)

Titel: Wie man leben soll: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thomas Glavinic
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Geschlechtsverkehr mit ihrem zukünftigen Expartner.
    Solche Überlegungen können einen sogar beschleichen, wenn man selbst noch in einer Beziehung steckt, nach dem Motto, heute hier, morgen da. Man macht sich Gedanken über den Partner, der einem bevorsteht. Und wenn man halb erfroren mit der
Kronenzeitung
im Café Schiller sitzt, hat man schon eine Weile vermutet, die nächste Frau, in die man sich verliebt, werde eine Kellnerin sein. Zumal man gar keine anderen Frauen mehr kennenlernt. Aber wenn man sie trifft, ist man sprachlos. Das Herz rast. Man glotzt sie an.
    – Tut dir etwas weh?, fragt sie. Oder bist das nicht du, der da wimmert?

 
    Wenn man verliebt ist, ist man aufnahmefähig.
    Gewöhnlich hasst man es, wenn Mutter einem Diätpillen und Kosmetika in die Wäschetasche schmuggelt. Aber wenn man eine Frau gewinnen will, muss ein annehmbares Äußeres her, und hätte man die Mittel, würde man sich jetzt sogar das Gesicht operieren lassen.
     
    Da Laura einen zappeln lässt und man sich nicht zum Trottel machen will, indem man von früh bis spät an der Bar des Café Schiller sitzt, widmet man sich intensiv der Veredelung des Geistes, des Körpers und des Charakters. Morgens macht man drei Liegestütze. Zumindest, wenn man daran denkt. Man füttert und streichelt Ascuas. Dann geht man ins nächste Café, um zu frühstücken. Eier, Toast, Speck, Semmeln, Butter, Marmelade. Dem Kellner gibt man zuviel Trinkgeld, weil man fürchtet, er könne einen sonst unsympathisch finden.
    Auf dem Weg nach Hause kauft man sich eine
Kronenzeitung
. So eine Gazette will man nicht in der Öffentlichkeit lesen. Doch ihr Erwerb ist unumgänglich, um sich über die Vorgänge in Politik und Sport auf dem Laufenden zu halten.
    Nachdem diese Arbeit getan ist, sieht man fern. Später macht man ein paar Dosen auf. Obwohl man von Frankfurtern mit Gulaschsaft von Inzersdorfer schon genug hat.
    Am frühen Nachmittag geht man duschen. Auf diese Weise vorbereitet und gestärkt, nimmt man Fromm zur Hand und bildet sich weiter.
    Man ist fest überzeugt, in irgendeinem Buch dieser Welt sei zu finden, wer man ist, was man will und was man tun soll.
    Leider weiß man noch nicht, dass es auf diesem Weg viele Bücher zu bewältigen gilt, die einen alle dem Ziel nicht näherbringen.
     
    Wenn man am frühen Abend ins Schiller geht und wider Erwarten Laura nicht antrifft, ist man wie vor den Kopf geschlagen. Man hat sich den ganzen Tag darauf gefreut. Die Stunden gezählt. Über Formulierungen nachgedacht. Sich ausgemalt, wie man sie küsst.
    Man setzt sich, verlangt von einem unbekannten Kellner Kaffee und versucht sich Laura vorzustellen. Es geht nicht.
     
    Merke: Wenn man verliebt ist, kann man sich das Gesicht der geliebten Person nicht ins Gedächtnis rufen.
     
    Man weiß, Laura hat schwarzes Haar und dunkle Augen. Sie ist zierlich. Sie trägt Edelstahlringe und ein schmales Lederhalsband. Sie hat immer Jeans an. Unter ihrem Shirt zeichnen sich ihre Brüste ab. Ab und zu riecht sie etwas modrig, als wohne sie in einer Kellerwohnung. Man kennt alle Details. Trotzdem kann man sich ihre Gesichtszüge nicht vorstellen.
    Wenn man die Geliebte entgegen seinen Erwartungen nicht antrifft, sollte man mit Mirko telefonieren und ihn bitten zu kommen.
    Während man wartet, trinkt man Wein. Er schmeckt nicht schlecht. Man trinkt noch einige Gläser. Man wird euphorisch. Jemand dreht die Musik lauter. Man schnippt mit den Fingern, summt mit, schließt die Augen und stellt sich vor, man gerate mit Laura in eine gefährliche Situation.
    Ein Bewaffneter hat das Café gestürmt. Ein Irrer, der Laura und alle Besucher als Geiseln nimmt. Über Telefon verhandelt ermit der Polizei. Um seine Drohungen zu unterstreichen, erschießt er eine Frau und einen alten Mann. Alle sind panisch und entsetzt. Allein man selbst bleibt vollkommen ruhig. Von Anfang an hat man so getan, als sei man geistig behindert. Man sitzt auf seinem Stuhl, wackelt mit dem Schädel, speichelt, stößt kehlige Laute aus und wartet auf einen günstigen Moment. Laura bittet einen mit den Augen, nichts zu unternehmen, das einen gefährden könnte.
    Als der Geiselnehmer an einem vorbeigeht, springt man auf und setzt ihm einen so harten Handkantenschlag gegen den Hinterkopf, dass er tot zusammenbricht.
    Die Polizei kommt, Leute umarmen einen, bedanken sich, man wehrt ab, das sei nichts Besonderes gewesen. Bewundernd starrt Laura einen an. Man schreitet zu den Erschossenen. Neben ihnen kniend,

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