Wie man mit einem Lachs verreist
Alternativbejahung hinzu.
Napoleon ist am 5. Mai 1821 gestorben. (Bravo!) Entschuldigen Sie, ist dies hier die Piazza Garibaldi? (Ja.) Hallo, spreche ich mit Max Müller? (Wer spricht da, bitte?) Hallo, hier Fritz Meyer, spreche ich mit Max Müller? (Am Apparat, was gibt's?) Dann schulde ich Ihnen also zehntausend Lire? (Ja, zehntausend.) Was haben Sie gesagt, Herr Doktor? Aids? (Tja, tut mir leid.) Sie rufen bei der Sendung „Wer hat ihn gesehen?“ an, um uns zu sagen, daß Sie dem Verschwundenen begegnet sind? (Wie haben Sie das erraten?) Polizei. Sind Sie Herr Müller? (Frieda, das Köfferchen!) Dann trägst du also gar keinen Schlüpfer!
(Endlich hast du's bemerkt!) Sie wollen zehn Millionen als Lösegeld? (Wie soll ich sonst mein Autotelefon bezahlen?) Wenn ich recht verstehe, hast du einen ungedeckten Scheck über zehn Millionen ausgeschrieben und mich als Bürgen
angegeben? (Ich bewundere deinen Scharfsinn.) Ist der
Eincheckschalter schon zu? (Sehen Sie den kleinen Punkt da am Himmel?) Sie sagen, ich sei ein Halunke? (Sie haben's getroffen.)
Heißt das, Sie raten uns, wird man mich fragen, niemals
»genau« zu sagen?
Genau.
(1990)
Wie man sich vor Witwen hütet
Mag sein, liebe Schriftstellerinnen und Schriftsteller, daß Ihnen nichts am Nachruhm liegt, aber ich glaube es nicht. Jeder, der, und sei's mit siebzehn, ein Gedicht über den rauschenden Wald verfaßt hat oder bis zum Tod ein Tagebuch führt, auch wenn er darin nur solche Dinge festhält wie »heute zum Zahnarzt gegangen«, hofft, daß die Nachwelt es zu schätzen weiß. Und selbst wenn er sich wünschte, vergessen zu werden -
heutzutage überbieten sich die Verlage im Wiederentdecken vergessener »kleiner« Autoren, sogar wenn diese nie eine einzige Zeile geschrieben haben.
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Die Nachwelt ist bekanntlich gefräßig und nicht wählerisch.
Sofern sie nur etwas zu schreiben bekommt, ist ihr alles, was je ein anderer geschrieben hat, recht. Und darum, o Schriftsteller, hütet euch vor dem Gebrauch, den die Hinterbliebenen von euren Schriften machen können. Das Ideal wäre
selbstverständlich, nur das zu hinterlassen, was ihr zu Lebzeiten zur Veröffentlichung freigegeben habt, und alles andere Tag für Tag zu vernichten, einschließlich der
Umbruchfahnen. Aber Notizen sind bekanntlich bei der Arbeit von Nutzen, und der Tod kann ganz plötzlich kommen.
In diesem Fall ist die erste Gefahr, daß Unveröffentlichtes veröffentlicht wird, aus dem hervorgeht, daß ihr vollendete Idioten wart, und jeder, der nachliest, was er sich am Vortag auf dem Block notiert hat, wird sehen, daß die Gefahr enorm ist (auch weil es charakteristisch für Notizen ist, daß sie aus dem Kontext gerissen sind).
Finden sich keine Notizen, so ist die zweite Gefahr, daß unmittelbar post mortem die Kongresse über euer Werk sich häufen. Jeder Schriftsteller hat den Ehrgeiz, in Aufsätzen, Dissertationen, Neuausgaben mit kritischem Apparat dem
Gedächtnis der Nachwelt erhalten zu bleiben, aber das sind Arbeiten, die Zeit und Geduld erfordern. Der Kongreß erreicht zweierlei: Er drängt Scharen von Freunden, Bewunderern, jungen Leuten auf der Suche nach Ruhm dazu, ein paar
diagonale Wiederlektüren vorzunehmen und die Eindrücke
niederzuschreiben, und in solchen Fällen wird bekanntlich das schon Gesagte noch einmal aufgewärmt und so ein Klischee bekräftigt. Infolgedessen vergeht den Lesern nach einer Weile die Lust an Autoren, die so penetrant in ihrer Vorhersehbarkeit waren.
Die dritte Gefahr ist, daß private Briefe veröffentlicht werden.
Selten schreiben Schriftsteller ihre privaten Briefe anders als gewöhnliche Sterbliche, es sei denn, sie täuschen die Privatheit nur vor. Sie können schreiben »schick mir das Guttalax« oder
»ich liebe dich bis zum Wahnsinn und danke dir, daß es dich gibt«, und das ist ihr gutes Recht und völlig normal, und es ist rührend, wenn dann die Nachwelt auf die Suche nach solchen
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Zeugnissen geht und zu dem Schluß gelangt, daß der
Schriftsteller auch nur ein Mensch war. Wieso, hatte man denn gemeint, er sei ein Flamingo gewesen?
Wie lassen sich solche Pannen vermeiden? Die
handschriftlichen Notizen betreffend, würde ich raten, sie irgendwo aufzubewahren, wo man sie nie erwarten würde, und in den Schubladen so etwas wie Karten verborgener Schätze liegenzulassen, die zwar auf die Existenz jener Reichtümer hinweisen, aber unentzifferbare Angaben über den Fundort machen. Man erzielt damit das
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