Wie man mit einem Lachs verreist
die feinsten Nuancen des gesellschaftlichen Verhaltens zu erfassen und zu
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beschreiben verstand, wegen der Fähigkeit, noch die
winzigsten Kleinigkeiten wahrzunehmen, die bis dahin allen entgangen waren. Wir saßen in einem Straßencafe, und nach einer Weile sagte er, den Verkehr betrachtend: »Weißt du, ich glaube, inzwischen fahren in den Städten zu viele Autos herum.« Vielleicht hatte er noch nie vorher darüber
nachgedacht, weil er Wichtigeres zu bedenken hatte; ihm war mit einemmal etwas aufgefallen, und er hatte die geistige Frische gehabt, es auszusprechen. Ich dagegen, ein kleiner Snob, vergiftet von Nietzsches zweiter „Unzeitgemäßer
Betrachtung“, hätte mich gescheut, es zu sagen, auch wenn ich es dachte.
Eine andere Banalität schockiert viele, die sich in derselben Lage wie ich befinden, insofern sie eine relativ große Bibliothek besitzen - so groß, daß man beim Eintritt in die Wohnung nicht umhinkann, sie zu bemerken, auch weil es sonst nicht viel gibt.
Der Besucher tritt ein und sagt: »So viele Bücher! Haben Sie die alle gelesen?« Zu Beginn meinte ich, der Satz entlarve nur Leute, die nicht sehr vertraut mit Büchern sind, gewöhnt, nur Wandbretter mit fünf Krimis und einem Kinderlexikon in
Fortsetzungslieferungen zu sehen. Aber die Erfahrung hat mich gelehrt, daß der Satz auch von unverdächtigen Leuten
geäußert wird. Man könnte sagen, daß es sich immer noch um Leute handelt, für die Regale nur Möbel zur Unterbringung gelesener Bücher sind und die keine Vorstellung von einer Bibliothek als Arbeitsmittel haben, aber das genügt nicht. Ich behaupte, daß angesichts vieler Bücher jeder von der Angst des Erkennens erfaßt wird und zwangsläufig auf die Frage rekurriert, die seine Qual und seine Gewissensbisse ausdrückt.
Das Problem ist, daß man zwar auf die Frotzelei »Sie sind derjenige, der immer antwortet« mit einem matten Lächeln antworten kann und im äußersten Fall, wenn man nett sein will, mit einem knappen »Guter Witz, das«, aber auf die Frage nach den Büchern muß man eine Antwort geben, während einem der Unterkiefer erstarrt und kalter Schweiß die Wirbelsäule hinunterläuft. Eine Zeitlang hatte ich mir angewöhnt, die verächtliche Antwort zu geben: »Gar keins hab ich davon
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gelesen, wozu würde ich sie sonst hierbehalten?« Aber das ist eine gefährliche Antwort, denn sie provoziert die naheliegende Frage: »Und wo tun Sie die hin, die Sie gelesen haben?«
Besser ist die Standardantwort von Roberto Leydi: »Nicht bloß die, nicht bloß die!« Sie läßt den Gegner erstarren und stürzt ihn in einen Zustand betäubter Bewunderung. Aber ich finde sie gemein und angsterzeugend. Neuerdings weiche ich auf die Behauptung aus: »Nein, das sind die, die ich bis nächsten Monat lesen muß, die anderen habe ich in der Uni.« Eine Antwort, die einerseits eine sublime ergonomische Strategie suggeriert und andererseits den Besucher veranlaßt, den Moment des Abschieds vorzuverlegen.
(1990)
Wie man das Mobiltelefon nicht benutzt
Es ist leicht, sich über die Besitzer von Mobiltelefonen lustig zu machen. Man muß nur sehen, zu welcher der folgenden
Kategorien sie gehören. Zuerst kommen die Behinderten, auch die mit einem nicht sichtbaren Handicap, die gezwungen sind, ständig in Kontakt mit dem Arzt oder dem Notdienst zu sein.
Gelobt sei die Technik, die ihnen ein so nützliches Gerät zur Verfügung gestellt hat. Dann kommen jene, die aus
schwerwiegenden beruflichen Gründen gehalten sind, immer erreichbar zu sein (Feuerwehrhauptmänner, Gemeindeärzte, Organverpflanzer, die auf frische Leichen warten, oder auch Präsident Bush, da sonst die Welt in die Hände von Quayle fällt). Für diese ist das Mobiltelefon eine bittere Notwendigkeit, die sie mit wenig Freude ertragen.
Drittens die Ehebrecher. Erst jetzt haben sie, zum erstenmal in der Geschichte, die Möglichkeit zum Empfang von Botschaften ihrer geheimen Partner, ohne daß Familienmitglieder,
Sekretärinnen oder boshafte Kollegen den Anruf abfangen können. Es genügt, daß nur sie und er die Nummer kennen (oder er und er, sie und sie - andere mögliche Kombinationen entgehen mir). Alle drei aufgelisteten Kategorien haben ein Recht auf unseren Respekt. Für die ersten beiden sind wir
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bereit, uns im Restaurant oder während einer Beerdigungsfeier stören zu lassen, und die Ehebrecher sind gewöhnlich sehr diskret.
Zwei weitere Kategorien benutzen das Mobiltelefon jedoch
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