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Wie man über Bücher spricht, die man nicht gelesen hat

Wie man über Bücher spricht, die man nicht gelesen hat

Titel: Wie man über Bücher spricht, die man nicht gelesen hat Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Pierre Bayard
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Familienpension und begibt sich am nächsten Tag an den Drehort, wo er die Reaktionen des Murmeltiers kommentiert, das sich in jenem Jahr für eine Fortdauer des Winters ausspricht. Da er keine große Lust hat, sich lange in einer Kleinstadt aufzuhalten – ein Milieu, das er nicht ausstehen kann –, ist er entschlossen, noch am selben Tag nach Pittsburgh zurückzukehren, doch das Fahrzeug des Teams wird am Stadtrand durch einen Blizzard festgehalten, und so müssen sich die drei Journalisten damit abfinden, eine weitere Nacht in der Provinz zu verbringen.
    ∗
    Alles beginnt für Phil am nächsten Morgen, wenn man so sagen darf, denn für ihn gibt es keinen nächsten Morgen mehr. Als er um sechs Uhr von der Musik seines Radioweckers aufwacht, stellt er fest, dass es dieselbe ist wie am Vortag, ohne sich jedoch weiter zu beunruhigen. Die Angst macht sich erst bemerkbar, als ihm bewusst wird, dass die Sendung auch genauso weitergeht wie am Tag zuvor und dass sich seinem Blick aus dem Fenster dasselbe Bild präsentiert wie schon am gestrigen Tag. Und sie steigert sich noch, als er beim Verlassen des Zimmers denselben Mann trifft wie am Tag zuvor, der ihn mit denselben Worten anspricht.
    Phil fängt nach und nach an zu begreifen, dass er dabei ist, denselben Tag noch einmal zu erleben. Alles, was geschieht, ist tatsächlich nichts als die genaue Wiederholungder Szenen, die er vierundzwanzig Stunden zuvor schon einmal erlebt hat. Zum Beispiel begegnet er demselben Bettler, der ihn um Geld bittet, dann wird er vom selben Kommilitonen angesprochen – den er seit Jahren aus den Augen verloren hat und der ihm, inzwischen Versicherer geworden, eine Police andrehen will –, bevor er in dieselbe Pfütze tritt. Und als er am Drehort ankommt, sieht er dieselbe Szene, in der Phil, das Murmeltier, gezeigt wird, das wieder dasselbe Verdikt ausspricht.
    Als Phil am dritten Tag seines Aufenthalts in Punxsutawney beim Aufwachen zum dritten Mal dieselbe Radiosendung hört, ist für ihn zur Gewissheit geworden, dass die Zeitschleife, in der er gefangen ist, nicht nur einen Tag betrifft, und er dazu verurteilt ist, immer wieder denselben Tag zu erleben, ohne jede Hoffnung, weder dieser Provinzstadt noch dieser Zeitdauer zu entkommen, in die er eingesperrt ist.
    Und zwar komplett eingesperrt, da nicht einmal der Tod ein Ausweg ist. Denn nachdem er einen Arzt und einen Psychoanalytiker aufgesucht hat, die beide unfähig sind, diesen nicht in den Lehrbüchern verzeichneten klinischen Fall zu therapieren, entschließt sich Phil, dieser Folge von identischen Tagen ein Ende zu setzen. Er entwendet aus Rache Phil – den anderen, das Murmeltier –, stiehlt ein Auto und stürzt sich, von der Polizei verfolgt, mit dem Tier in eine Schlucht, nur um sich am nächsten Tag unversehrt in seinem Bett wiederzufinden, wie er dieselbe Radiosendung hört und draußen derselbe Tag anbricht.
    ∗
    Dieses Aushebeln der Zeit führt zu einer ganzen Reihe origineller Situationen, vor allem in sprachlicher Hinsicht. Phil, der immer gleichzeitig auf zwei Ebenen präsent ist – der Szene des aktuellen Tages und der aller anderen, vorangegangenen und zukünftigen Tage –, kann sich erlauben, ständig mit dem Doppelsinn des zeitlichen Stillstands zu spielen und zum Beispiel der Frau, die er liebt und deren Gesicht er in den Schnee zeichnet, verkünden, dass er es schon eine ganze Weile studiert hat.
    Wenn es auch äußerst unangenehm ist, den immer selben Tag zu durchleben, so hat eine solche Situation doch auch ihre Vorteile. Sie erlaubt zum Beispiel Handlungen, die nur aufgrund einer detaillierten, manchmal bis auf die Sekunde genauen Kenntnis des Tagesablaufs möglich sind. So hat Phil festgestellt, dass ein Geldtransport beim Anhalten vor einer Bank einen der Säcke im Hinterraum des Gepäckwagens für ein paar Sekunden ohne Aufsicht lässt, und kann diesen kurzen Moment der Unachtsamkeit nutzen, um ihn an sich zu nehmen.
    Die Situation garantiert außerdem absolute Straffreiheit, da Phil sicher ist, dass in der Nacht seine Fehler und Verbrechen wieder ausgelöscht werden, was immer er auch anstellt. So kann er es sich erlauben, Geschwindigkeitsbeschränkungen zu ignorieren, mit dem Wagen auf einem Bahngleis zu fahren und sich von der Polizei anhalten zu lassen, ohne dass dies irgendwelche Folgen hätte, da er aufwacht, noch bevor all diese Ereignisse geschehen sind.
    Dank dieses Zeitstillstands kann Phil übrigens auch die Methode von Versuch und Irrtum in

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