Wie man über Bücher spricht, die man nicht gelesen hat
Anwendung bringen. Er trifft eine verführerische junge Frau, fragt sie nach ihremNamen, nach dem Gymnasium, das sie besucht hat, und wer ihr Französischlehrer war. So kann er sich, wenn er sie »am nächsten Tag« trifft, als ehemaliger Klassenkamerad vorstellen und mit ihr Jugenderinnerungen austauschen, womit er seine Eroberungschancen erhöht.
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Da er sich mittlerweile in Rita verliebt hat, die Aufnahmeleiterin der Sendung, versucht Phil sie durch diese Methode der ständigen Optimierung zu verführen, die auf menschliche Beziehungen nur in einer solchen permanenten Zeitschleife anwendbar ist, bei der die Taten ohne Folgen bleiben. Wenn er mit ihr abends etwas trinken geht, merkt er sich ihr Lieblingsgetränk, um »am nächsten Tag« demonstrativ dasselbe zu bestellen. Und nachdem er den – in dieser Raum-Zeit-Struktur harmlosen – Irrtum begangen hat, zu Ehren von Phil, dem Murmeltier, einen Toast auszubringen und damit den Zorn seiner Angebeteten auf sich gezogen hat, die ihm unwirsch erklärt, nie auf etwas anderes als auf den Frieden in der Welt anzustoßen, verbessert er sich am »nächsten Tag« und schlägt von sich aus den angemessenen pazifistischen Trinkspruch vor.
In diesem Kontext der täglichen Perfektionierung ist auch die Szene angesiedelt, die uns hier interessiert. Sie bezieht sich auf die Bedeutung, die nicht gelesenen Büchern beim Aufkeimen einer Liebesbeziehung zukommt. Nach vielen Tagen des Übens hat Phil es geschafft, mit Rita ein Gespräch zu führen, das sie – zu Recht – völlig zufrieden stellt, da ihr Verehrer hintereinander sämtliche Sätze ausspricht, die sie in der idealen Welt einer harmonischen Beziehung gernehören möchte. So kann er, der sich nur in Städten wohlfühlt, ihr von seinem Traum vorschwärmen, abseits der Zivilisation in den Bergen zu leben.
In diesem Augenblick jedoch lässt seine Aufmerksamkeit nach, Phil hat sich nicht unter Kontrolle und begeht wieder einen Fehler. Rita vertraut ihm an, dass ihr Universitätsstudium sie eigentlich nicht für die Arbeit beim Fernsehen prädestinierte, und bekennt, als Phil nachfragt:
»Ich habe italienische Lyrik des neunzehnten Jahrhunderts studiert.«
Worauf Phil in Lachen ausbricht und ihm herausrutscht:
»Du hattest wohl gar nichts Besseres zu tun!«
Worauf er einen eisigen Blick von Rita auffängt und seinen Patzer bemerkt.
Doch nichts ist irreparabel in einer Welt, in der alles immer wieder von vorne beginnt, und so wird die Sache unverzüglich, das heißt am nächsten Tag, in Ordnung gebracht. Da er, wie anzunehmen ist, in der Zwischenzeit die Bibliothek aufgesucht und sich schlau gemacht hat, ist Phil, als Rita ihr erneut ihre Leidenschaft für die italienische Dichtung des neunzehnten Jahrhunderts gesteht, bestens gerüstet, unter dem bewundernden Blick der jungen Frau in feierlichem Ton Auszüge aus dem Textbuch von
Rigoletto
[ 2 ] zu rezitieren. Wann immer er sich gezwungen sieht, über Bücher zu sprechen,die er nicht gelesen hat, braucht er die paar Sekunden bis zu seiner Antwort nur um vierundzwanzig Stunden auszudehnen, und schon kann er dem Wunsch des anderen genau entsprechen.
Seine Verführungsversuche beschränken sich aber nicht nur auf Bücher. Phil nutzt den Zeitstillstand, um das Klavierspiel zu erlernen, und begibt sich »jeden Tag« zu einem Lehrer. Denn er weiß, dass Rita sich einen Mann wünscht, der ein Musikinstrument spielt. Ein intensives Training in dieser ausdehnbaren Zeitnische erlaubt ihm, eines Abends, als Rita auf eine Tanzparty geht – die sie zwangsläufig jeden Abend besucht –, im Orchester als Jazzmusiker in Erscheinung zu treten.
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Im Gegensatz zu unseren vorangegangenen Beispielen stellt der Film
Und täglich grüßt das Murmeltier ein
komplexes narratives Gefüge dar, ein Phantasma der Vollständigkeit und Transparenz, das uns zwei Menschen zeigt, die ohne Reibungsverslust über ihre Bücher und damit über sich selbst sprechen. Sich die Zeit zu nehmen, die Bücher, die den anderen geprägt haben, sorgfältig zu studieren, bis man schließlich dieselben Leseerfahrungen hat, das wäre vielleicht die Bedingung eines wahren Austauschs über Kultur und einer vollkommenen Übereinstimmung der inneren Bücher.
Auf den ersten Blick könnte die hier eingesetzte Methode uns in den vielen Situationen des Lebens, in denen Verführung nötig ist, durchaus erlauben, dem anderen zu zeigen, dass wir mit ihm in einem gemeinsamen kulturellen Universum leben. Wenn Phil
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