Wie man über Bücher spricht, die man nicht gelesen hat
hast du rausgenommen! Man könnte sich wirklich fragen, was in deinem Kopf vorgegangen ist, als du das alles rausgeschmissen hast.‹
Das Lächeln, das auf meinen Lippen erschien, muss wohl ziemlich viel Skeptizismus ausgedrückt haben:
›Nur eine kleine Frage: War das wirklich mein Manuskript, das Sie gelesen haben?‹«[ 8 ]
Was hier in die Karikatur getrieben wird, ist eine Erfahrung, die allen Schriftstellern vertraut ist, nämlich die Erkenntnis, dass die Äußerungen über ihre Bücher überhaupt nichts mit dem zu tun haben, was sie zu schreiben glaubten. Jeder Schriftsteller, der eine Weile mit einem aufmerksamen Leser diskutiert oder einen längeren Artikel über sich gelesen hat, kennt dieses beunruhigende Gefühl von Fremdheit, dassich einstellt, wenn ihm klar wird, dass kein Zusammenhang zwischen dem besteht, was er machen wollte, und dem, was andere davon wahrnehmen. Eine Differenz, die nichts Erstaunliches hat, wenn man bedenkt, dass sich ihre inneren Bücher zwangsläufig unterscheiden und der Schriftsteller kaum Chancen hat, das Buch, das der Leser über seines gestülpt hat, wiederzuerkennen.
Diese unangenehme Erkenntnis, dass ein Leser von der Absicht eines Buches gar nichts verstanden hat, ist paradoxerweise vielleicht noch schmerzlicher, wenn der Leser dem Autor geneigt ist, das Buch schätzt und seine ganze Energie darauf verwendet, ihm dies bis in alle Einzelheiten darzulegen. Denn um das zu tun, greift er zu den Wörtern, die ihm selbst am vertrautesten sind, und statt sich dem Buch des anderen anzunähern, nähert er sich seinem eigenen Idealbuch an, das seine Beziehung zur Sprache und zu den anderen deshalb so sehr bestimmt, weil es einzigartig ist und in keine andere Sprache übersetzt werden kann. Die Desillusionierung droht dabei für den Autor um so größer zu werden, als sie von der Entdeckung der unüberbrückbaren Distanz ausgelöst wird, die uns von den anderen trennt.
Man könnte also sagen, dass das Risiko, einen Schriftsteller mit seinen Worten zu verletzen, umso größer ist, wenn man das Buch mochte. Denn abgesehen von der allgemeinen Befriedigung, die das Gefühl der Übereinstimmung verschaffen kann, liegt in der Anstrengung, mit der wir ihm die Gründe unserer Wertschätzung mitteilen, die Gefahr, demoralisierend auf den Autor zu wirken, weil sie ihn jäh mit dem konfrontiert, was im anderen und folglich in ihm selbstunsagbar ist und mit den Worten, mit denen er sich auszudrücken sucht, nicht mitgeteilt werden kann.
Diese schmerzliche Erfahrung, auf Unverständnis zu stoßen, wird in Siniacs Buch natürlich noch verstärkt durch die Kluft zwischen dem Text, den der Schriftsteller geschrieben zu haben meint, und dem, den die anderen gelesen zu haben glauben, da wir es in unserem Beispiel mit zwei materiell unterschiedlichen Büchern zu tun haben. Doch jenseits der vordergründigen Handlung finden wir hier die Problematik der unmöglichen Kommunikation zwischen dem inneren Buch des Schriftstellers und dem seiner Leser auf fast schon allegorische Weise dargestellt.
So ist es also nicht überraschend, dass das Thema des Doubles in Siniacs Roman so allgegenwärtig ist. Dochin, der sich nicht wiedererkennt in dem, was die anderen über sein Buch sagen, findet sich mit einem Phänomen der Verdoppelung konfrontiert, genauso wie die Schriftsteller, die, wenn man mit ihnen über ihren Text spricht, oft den Eindruck haben, dass es um einen
anderen Text
geht, was ja auch tatsächlich der Fall ist. Diese Verdoppelung wird von der Präsenz des inneren Buches in uns hervorgebracht, das niemandem zu vermitteln ist und sich mit keinem anderen decken kann, da es – weil es das ist, was uns absolut einzigartig macht – jenseits jeder oberflächlichen Übereinstimmung das Unkommunizierbare in uns selbst ist.[ 9 ]
∗
Wie verhält man sich nun am besten einem Schriftsteller gegenüber? Das Zusammentreffen mit dem Autor eines Buches, das man nicht gelesen hat – auf den ersten Blick der heikelste Fall, da dieser das Buch eigentlich kennen sollte –, stellt sich so in Wirklichkeit als der einfachste von allen heraus.
Zum einen ist es, dem Anschein zum Trotz, gar nicht so sicher, dass der Schriftsteller wirklich am besten in der Lage ist, nicht nur über sein Buch zu sprechen, sondern sich auch genau daran zu erinnern. Das Beispiel Montaignes, der nicht einmal merkt, wenn man aus seinen Werken zitiert, hat uns gezeigt, dass man von seinen eigenen Texten, wenn sie einmal geschrieben
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