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Wie man über Bücher spricht, die man nicht gelesen hat

Wie man über Bücher spricht, die man nicht gelesen hat

Titel: Wie man über Bücher spricht, die man nicht gelesen hat Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Pierre Bayard
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Dabei mußte jeder ein bekanntes Buch nennen, das er nicht gelesen hatte, und bekam einen Punkt für jeden Mitspieler, der es kannte. Es gab ein Kopf-an-Kopf-Rennen zwischen dem Konföderierten und Carol, mit vier von fünf möglichen Punkten für
Steppenwolf
[ 7 ] und
Die Geschichte der O.
[ 8 ] In beiden Fällen ging der fehlende Punkt auf Philips Konto. Seine eigene Wahl,
Oliver Twist
[ 9 ] – meist ein sicherer Tip – fiel glatt durch.«[ 10 ]
    Man sieht, woher das Spiel seinen Namen hat. Um Punkte zu machen, muss man Bücher finden, die alle gelesen haben außer man selbst. Im Gegensatz zu dem, was sich normalerweise in gesellschaftlichen Beziehungen und vor allem im Universitätsmilieu abspielt, wo man in der Regel eher sein Wissen ausbreitet, beruht das Spiel auf der Zurschaustellung seines Unwissens. Besser könnte man nicht zeigen, wie sehr die Bildung und die Form, wie wir sie der Öffentlichkeit präsentieren, während wir uns in der Meinung anderer spiegeln, ein archaisches Gefühl der Scham ins Spiel bringen.
    Das Spiel verlangt also, dass man sich so stark wie möglich demütigt, da die Gewinnchancen mit dem Grad der Erniedrigung steigen. Doch seine zweite Besonderheit ist, dass es auf Aufrichtigkeit beruht. Um zu gewinnen, genügt es nicht, den Namen des bekannten Buchs zu nennen, man muss die anderen auch davon überzeugen, dass man die Wahrheit sagt. Schlägt man den Titel eines allzu berühmten Buchs vor, von dem es sehr unwahrscheinlich ist, dass man es nicht kennt, haben die anderen Spieler das Recht, die Behauptung zurückzuweisen. Der Sieg hängt also von dem Vertrauen ab, das man demjenigen zubilligt, der sein Unwissen beteuert, und damit von der Einschätzung, ob die Erniedrigung des Spielers real oder nur vorgetäuscht ist.
    In einem späteren Teil des Buchs findet eine weitere Partie des Erniedrigungsspiels statt, die uns von Désirée, der Frau des amerikanischen Professors Morris Zapp, in einem Brief an ihren Mann geschildert wird. Désirée ist inzwischen die Geliebte Swallows geworden, der nun also vollständig an Zapps Stelle getreten ist. Auf einer Abendgesellschaft unter Kollegen schlägt Swallow eine Partie des Spiels vor. Nun aberkann einer der anwesenden Professoren, Howard Ringbaum, die unmögliche Situation, in die die Teilnehmer durch das Spiel gebracht werden, nur schlecht ertragen, nämlich dass man durch Verlieren gewinnt und nur durch Erniedrigung Erfolg hat:
    »Du kennst ja Howard, er steht unter einem pathologischen Erfolgszwang und hat pathologische Angst davor, für ungebildet gehalten zu werden, und dieses Spiel stürzte ihn nun in grauenvolle Konflikte, denn gewinnen konnte er nur, wenn er sich zu einer Bildungslücke bekannte. Zuerst konnte seine Psyche dieses Paradox einfach nicht verkraften, und er nannte irgendein obskures Buch aus dem 18. Jahrhundert, dessen Namen ich sofort wieder vergessen habe. Natürlich kriegte er beim Zusammenzählen die wenigsten Punkte und schmollte.«[ 11 ]
    Ringbaum zieht sich also vom Spiel zurück, das mit Titeln wie
Das wiedergewonnene Paradies
[ 12 ] von Milton seinen Lauf nimmt, ein Werk, das zur allgemeinen Verwunderung der englische Fachbereichsleiter nicht zu kennen gesteht. Doch Ringbaum verfolgt das Geschehen weiterhin und beschließt plötzlich wieder mitzumachen:
    »In der dritten Runde lag Sy mit
Hiawatha
[ 13 ] vorn – der einzige, der es außer ihm nicht gelesen hatte, war Mr. Swallow–, und da schlug plötzlich Howard mit der Faust auf den Tisch, lehnte sich vor und sagte: ›Hamlet!‹ Natürlich lachten wir alle, aber nicht sehr, weil uns der Witz nicht gerade vom Stuhl riß, aber es war gar nicht als Witz gemeint. Er habe den Film mit Lawrence Olivier gesehen, sagte Howard, aber das Stück von Shakespeare habe er nie gelesen. Klar, daß ihm das niemand abgenommen hat, und da wurde er stinksauer. Ob wir ihm eine Lüge unterstellen wollten, hat er gefragt, was Sy mehr oder weniger bejahte. Woraufhin Howard sich in eine richtige Wut hineinsteigerte und heilige Eide schwor, daß er in seinem Leben noch keine Zeile
Hamlet
gelesen hätte. Sy entschuldigte sich mit undurchdringlichem Gesicht dafür, daß er seine Worte angezweifelt hatte. Inzwischen waren wir vor lauter Peinlichkeit alle stocknüchtern geworden. Howard zog ab, und wir standen noch eine Weile herum und versuchten so zu tun, als ob nichts passiert wäre.«[ 14 ]
    ∗
    Der Fall
Hamlet
– unbestritten das wichtigste Werk der englischen Literatur mit folglich

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