Wie Samt auf meiner Haut
durch die Glastür auf den Balkon
entwischen zu sehen. Trotz seiner Statur sehr flink, kletterte er behende übers
Geländer und ließ sich am Spalier hinunter. Sie lief ans Fenster und sah nur
noch, daß er hinter den hohen, als Labyrinth angelegten Buchsbaumhecken im
vorderen Gartenbereich verschwand.
Velvet
umklammerte den Bettpfosten. Ihr Atem kam schnell und stoßweise. Celias
unbewegte Brust verriet ihr, daß diese nicht mehr atmete. Ein Blick in ihr
Gesicht und die tiefgrünen Augen, die in leblosem Entsetzen zur Decke starrten,
dazu die unnatürliche Kopfstellung, und Velvet wußte, daß Celias Genick
gebrochen war. Große dunkle Druckstellen wurden sichtbar, Spuren kräftiger
Männerhände, die die Tat begangen hatten.
Am ganzen
Leib zitternd, umklammerte sie den Bettpfosten fester. Lieber Gott – die
Countess war ermordet worden. Und sie hatte den Mörder gesehen. Wer war er?
Warum hatte er Celia getötet? O Gott, was sollte sie tun?
Den Blick
von Celias lebloser, verdrehter Gestalt abwen dend, kämpfte sie, ihre fünf
Sinne und ihr Denkvermögen wiederzuerlangen. Sie sah Jason vor sich, einen
großen, dunkelhaarigen und sehr starken Mann. Ich verabscheue die Frau, hatte
er gesagt, und sogar das Verlangen geäußert, ihr die Hände um den schönen
weißen Hals zu legen.
Velvet
schauderte. Der Mörder war so groß wie Jason, vielleicht noch größer, und sein
Haar dunkel, möglicherweise schwarz.
Jason
konnte es nicht gewesen sein. Ganz gewiß nicht. Jason hätte sie nie getötet.
Doch ihr Zittern wurde ärger und ihr schwindelte, daß sie schon glaubte, in
Ohnmacht zu fallen.
Ein
Geräusch an der Tür bewirkte, daß sie sich faßte. Sie drehte sich um und sah
die Umrisse von Jasons Gestalt im Eingang unbeweglich dastehen. Aus seinen
aufgerissenen Augen sprach fassungsloses Entsetzen. Er war so bleich wie sie.
»Mein Gott
...« Er trat ein, eilte durch den Raum und blieb erst vor dem Bett stehen. »Was
ist passiert, um Himmels willen?« Er starrte die leblose Gestalt an, dann
Velvet. Er sah ihr bleiches Gesicht, sah, wie sie unsicher auf ihn zuschwankte,
und fing sie auf, als ihre Beine nachgaben.
Falls ihr
die Sinne schwanden, dann nur einen Augenblick. »Ich ... mir geht es gut. Ich
wollte es nicht. Ich kann allein stehen.«
Er nahm sie
auf die Arme und hastete aus dem Raum. »Ich schaffe dich erst mal hier heraus.
Du kannst mir später erzählen, was Celia zugestoßen ist, dann werden wir
überlegen, was zu tun ist.«
Sie nahmen
nicht die Vordertreppe. Jason trug sie über die Dienstbotenstiege hinunter.
Sein Wagen wartete in der Gasse hinter den Stallungen. Er hob sie hinein und
gab dem Kutscher Anweisung, nach vorne zu fahren, wo er nur kurz anhielt, um
Velvets Kutsche zurück zum Haus der Havershams zu schicken.
»Woher ...
woher wußtest du, wo ich bin?« Velvet blickte beklommen zu ihm auf, aber Jason
gab keine Antwort. Er starrte aus dem Fenster, düster und sichtlich
aufgebracht.
»Jason?«
Er drehte
sich um und schien sich erst konzentrieren zu müssen. »Entschuldige, du hast
gefragt, woher ich wußte, wo du bist.« Er sah sie finster an. »Ich kam, um
Celia aufzusuchen, da ich hoffte, sie überreden zu können, die Wahrheit zu
sagen. Als ich losfahren wollte und deine Kutsche sah, hielt ich es für besser,
noch einmal ins Haus zu gehen und nachzusehen, welchen Unfug du diesmal
ausgeheckt hattest.«
Er sah so
abgespannt aus, daß seine Backenknochen scharf unter der straffen Haut
hervortraten. In seinem Blick lag höchste Beunruhigung, als er sie fixierte.
»Velvet, was ist geschehen? Was hat dich zu Celia geführt?«
Velvet
lehnte sich in die Polsterung des Wagens zurück, dessen Rädergeräusch in den
bevölkerten Straßen vom Geratter der Karren und Wagen und den Schritten der
Sänftenträger, die reiche Kunden beförderten, übertönt wurde.
»Lady
Brookhurst hat mich zum Tee eingeladen«, antwortete Velvet matt. »Sie
versprach, mir sämtliche Einzelheiten über Averys Heirat zu erzählen, in der
Meinung, sie würden von Interesse für mich sein, da ich mit Avery verlobt war.«
In seiner
Wange zuckte ein Muskel. »Weiter.«
»Als ich
ankam, sagte der Butler, die Countess wolle mich in ihrer Suite zum Tee
empfangen. Das kam mir etwas seltsam vor, aber da ich aus einem bestimmten
Grund gekommen war, nahm ich keinen Anstoß daran.«
»Du warst
es also, die sie erwartete. Und ich dachte, sie hätte ein Stelldichein mit
einem Geliebten.«
Velvets
Wangen röteten sich vor
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