Wie Samt auf meiner Haut
zitterte, als sie das flackernde Licht hochhielt. »Wie ... wie hieß er?«
»Sein Vater
nannte ihn Jason, Mylady, nach dem ersten Duke of Carlyle.«
Velvet
spürte, wie sich in ihrem Inneren etwas zusammenkrampfte. Als sie den Butler
wieder ansah, lag ein trauriges Lächeln auf seinen Zügen und machte ihn um
Jahre älter. »Jason war ein guter Junge. Was dann über ihn gesagt wurde, ist
nicht wahr. Ich werde es nie glauben, mein Leben nie.« Seine Stimme war so
gefühlsbeladen, daß sie dünn und gebrochen klang. Velvet schluckte schwer.
»Was ist
mit ihm geschehen?« fragte sie im Flüsterton.
Er
schüttelte den Kopf. »Tut mir leid, Mylady, ich hätte nicht davon anfangen
sollen. Es steht mir nicht zu, über diese Dinge zu reden. Seine Durchlaucht
würde es nicht billigen, und ich spreche selbst nicht gern davon.«
Sie
streckte die Hand aus und faßte nach seinem Arm, so fest, daß er
zusammenzuckte. »Es ... es tut mir leid.« Sie ließ ihn los und stellte den
Kerzenleuchter ab. »Ich muß wissen, was mit Jason geschah. Ich schwöre, daß ich
es nicht weitersagen werde, aber Sie müssen es mir verraten. Ich bitte Sie,
Cummings.«
Er sah sie
an, sah, wie bleich sie war und hörte die stille Verzweiflung, die aus ihren
Worten klang. Ein resignierter Seufzer kam über seine Lippen.
»Es war vor
acht Jahren, Mylady, aber ich erinnere mich noch so deutlich, als wäre es heute
geschehen. Der junge Jason und sein Vater hatten einen Streit. Der Junge war
eben erst einundzwanzig geworden.«
»Um was
ging es bei dem Streit?«
»Ich
glaube, um Lady Brookhurst.«
»Lady
Brookhurst?« wiederholte Velvet mit wachsender Bestürzung. Sie war der schönen
Countess heute zum erstenmal begegnet. Als Kleopatra verkleidet, in einem
gewagten Kostüm aus rubinroter Seide und Silbertüll, das schwarze Haar
ungepudert und offen, hatte sie die Aufmerksamkeit aller Männer im Ballsaal
erregt. Obschon über dreißig, hatte sie sich Teint und Figur makellos erhalten,
so daß Velvet geradezu betroffen ihre Schönheit bewundert hatte, als die
Countess den Raum betrat.
»Ja,
Mylady, es ging sehr wahrscheinlich um die Countess. Das sagten jedenfalls die
Bediensteten. Es war bekannt, daß der alte Herzog die Affäre Jasons mit der
Frau mißbilligte. Der Junge
stürmte aus dem Haus, und wenig später ging auch der Herzog. Er folgte seinem
Sohn zu dem Wirtshaus, in dem der Junge und die Countess ihr Stelldichein
hatten, und dort geschah es dann.«
Velvet
befeuchtete die Lippen. »Was geschah?«
»Es gab
wieder Streit. Seine Durchlaucht wurde durch einen Schuß getötet. Und es hieß,
der junge Jason hätte es getan.«
Velvet
konnte kaum atmen, so groß war der Druck auf ihrer Brust. Sie sah trotz der
trüben Beleuchtung, daß Tränen auf den abgezehrten Wangen des Alten glänzten.
»Aber so kann es nicht gewesen sein, Mylady. Der Junge liebte seinen Vater. Er
hätte ihm nie etwas zuleide getan.«
Velvet
zitterten die Knie. Sie hatte das Gefühl, ihre Beine würden sie nicht mehr
tragen, so daß sie sich an die Tischkante klammerte. »W ... was geschah mit
Jason?« Teils wollte sie es hören, teils nicht.
»Er wurde
verhaftet und in Newgate eingekerkert. Sein Bruder war dem Herzog gefolgt, als
dieser Carlyle Hall verließ. Der Jüngere sagte, er hätte versucht, den Schuß
zu verhindern. Auch Lady Brookhurst sagte gegen den jungen Jason aus. Nur ein
einziger hielt beim Prozeß zu ihm – Lord Litchfield. Er und der Junge waren
seit langem befreundet.«
»Litchfield?«
wiederholte Velvet und rief sich die hochgewachsene dunkle Erscheinung des
Marquis in Erinnerung.
»Ja, aber
es nützte nichts. Der Junge wurde zum Tod durch den Strang verurteilt. Aber
Gott wollte nicht, daß es geschah. In seiner ersten Nacht im Kerker stürzten
sich Diebe auf ihn. Newgate ist ein schrecklicher Ort, mit dem Abschaum der
Erde angefüllt. In jener Nacht wurde er getötet, Mylady. Der Ärmste wurde um
ein paar Münzen und die Kleider, die er am Leibe trug, getötet. Es hieß, daß er
gräßlich zerstückelt wurde.«
Velvet
kämpfte mit Übelkeit. Wieder sah sie zu dem Porträt auf, spürte die flammenden
Augen, als stünde Jason im Raum. Das Gesicht war unverwechselbar. Es war das
Gesicht des Mannes, der sie entführt hatte, des Mannes, der sie davor bewahrt
hatte, den kaltherzigen Herzog zu heiraten.
Das Gesicht
des Mannes, der sie heute auf der Terrasse geküßt hatte. Ein Gesicht, das sie
nicht vergessen hatte.
»Danke,
Cummings.« Sie schaffte
Weitere Kostenlose Bücher