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Wie Sand in meinen Händen

Wie Sand in meinen Händen

Titel: Wie Sand in meinen Händen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Luanne Rice
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hatte: Mit einem einzigen Blick gelang es ihr, jede Novizin ihre Missbilligung spüren zu lassen. Doch Tom ließ sich nicht davon täuschen, und sie wusste, dass es keine zwanzig Sekunden dauern würde, bis ihre Fassade zusammenbrach.
    »Archetypen, aha.«
    »Ja.« Sie spann den Faden weiter, plapperte munter drauflos, Hauptsache, sie kamen nicht wieder auf den rothaarigen Jungen mit den blauen Augen und dem ruhigen Blick zurück. »Künstler lassen sich oft davon inspirieren, wie man weiß. John zum Beispiel, mit seinem Labyrinth. Und seiner Installation in Ballincastle, ein Spiegelbild der Ruinen. Nicht zu vergessen seine Sandburgen, oder sein berühmtes Foto vom Devil’s Hole.«
    »Sandburgen?«
    »Ja. Ein Symbol für die Vergänglichkeit des Lebens, den Zerfall. Und für die Notwendigkeit, das Gute im Leben zu schätzen – Liebe, Nähe –, solange es währt, aber es dann auch loszulassen. Eine Einstellung, die du jetzt in Betracht ziehen solltest.«
    »Bernie.« Tom sah sie an. »Ist das dein Ernst? Hast du jemals daran gedacht, dass Johns Bezeichnung für seine Installationen reine Ironie ist? Er errichtet sie aus Steinen, Baumstämmen, abgebrochenen Ästen und Zweigen. Festes, starkes Material, Bernie. Alles andere als Sand. Ist dir das jemals aufgefallen?«
    Bernie schwieg, ließ sich nicht anmerken, dass sie oft das Gleiche gedacht hatte.
    »Dinge, die
Bestand haben,
Bernie.«
    »Hör auf, Tom.«
    »Der Witz ist, John könnte es nicht ertragen, irgendetwas aus Sand zu bauen. Weil er das Bedürfnis hat, es festzuhalten. Alles, was er loszulassen versucht, trägt überall Spuren seiner Krallen. Er schafft es am Ende, aber nur dann, wenn ihm keine andere Wahl bleibt. Das gilt auch für diesen verdammten Felsen, den er zerschmettert hat. Er konnte ihn nicht einfach so lassen; er musste die Bruchstücke aus dem Meer hieven und am Strand auslegen, einen Irrgarten daraus errichten.«
    »Ich sagte, es reicht.«
    »Brendan lässt sich von unseren Familien inspirieren. Weil er weiß …«
    Bernie schüttelte den Kopf. Sie konnte es nicht ertragen, noch länger zuzuhören. Sie ergriff Toms linke Hand, hob sie hoch und blickte auf den Ring, der Francis X. Kelly gehört hatte und die Insignien der Familie trug. »Das ist ein Meerungeheuer«, sagte sie. »Das Wappentier deiner Familie. Hat es auch nur die geringste Ähnlichkeit mit dem Bild auf dem Wagen?«
    Sie sah, wie sein Blick zwischen dem Bildnis auf dem Ring und dem linken hinteren Kotflügel des Volvos hin- und herwanderte. Die beiden hatten wenig gemein. Für Bernie hätte das Meerungeheuer genauso gut verschwunden sein können, abgetaucht in die Tiefen des Meeresgrundes. Denn sie hatte – genau wie Tom – nur Augen für den lächelnden kleinen Jungen auf dem Rücken des Fabelwesens.
    Rothaarig und blauäugig, wie ein Kind von Thomas Kelly und Bernadette Sullivan aussehen würde.
    »Du denkst das Gleiche wie ich, Schwester Bernadette. Ich weiß es«, sagte Tom.
    »Du weißt gar nichts. Und jetzt entschuldige mich bitte. Ich muss zurück.«
    »Beten?«
    »Eine Ordensgemeinschaft leiten.«
    »Weißt du was? Bei uns läuft es genau wie in
Casablanca.
Ingrid Bergman und Humphrey Bogart könnten sich eine Scheibe von uns abschneiden …«
    »Für so etwas bin ich jetzt nicht in Stimmung, Tom.«
    »Ich auch nicht. Aber keine Sorge. Uns bleibt immer die Erinnerung an Dublin.«
    Sie eilte davon, ihr Herz schmerzte bei dem Gedanken, was Dublin für sie beide bedeutet hatte.

[home]
    25. Kapitel
    D as Polizeirevier von Black Hall befand sich in einem schmalen Backsteingebäude an der Shore Road, kurz vor der Abzweigung nach Hubbard’s Point. Es hatte einen gepflegten Rasen an der Vorderseite und ein Spitzdach, auf dem die Fahne der Stadt an einem Flaggenmast wehte. John und Brendan wurden in einen kleinen Raum geführt und aufgefordert, zu warten.
    Sie trugen weder Handschellen, noch hatte man sie voneinander getrennt oder ihnen nahegelegt, nicht miteinander zu sprechen. Die Polizisten waren höflich und respektvoll, wenn auch nicht gerade freundlich. Officer Kossoy brachte Brendan einen Eisbeutel für seine lädierte Nase.
    Kaum hatten John und Brendan Platz genommen, wurden auch schon alle Polizisten, bis auf zwei, die Innendienst hatten, zum Einsatz gerufen – im Deacon’s Reef, einer Strandbar und an heißen Sommertagen ein beliebter Motorradfahrer-Treff, war eine Schlägerei im Gange.
    John musterte Brendan verstohlen, um zu sehen, wie sich der Junge

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