Wie Sand in meinen Händen
heißt. Und nicht die Wirklichkeit«, sagte er.
»Aber Sie wissen, was sie damit meinte, oder?«, fragte Brendan ruhig.
»Nein. Ich habe keine Ahnung.«
»Sie hat geträumt … dass sie einen Menschen getötet hat.«
John schüttelte den Kopf. »Ich war es.«
»In ihrem Traum hat er sich auf Sie gestürzt, wollte Sie umbringen – und da hat sie ihn getötet.«
»So war es nicht.« Johns Herz klopfte.
Brendans blaue Augen leuchteten im dämmrigen Licht, das durch die Jalousien vor den Fenstern des Polizeireviers drang. John glaubte darin etwas Vertrautes zu entdecken, das ihn an Tom Kelly erinnerte – ein Gedankenblitz, den er noch nicht richtig einordnen konnte.
»Mr. Sullivan, ich weiß, dass Sie ein guter Vater sind, das merkt man allein daran, dass Ihre Töchter Sie so sehr lieben, und weil ich sehe, dass Sie alles tun würden, um Regis zu beschützen.«
Johns Schultern spannten sich an, wie so oft, wenn Tom lange Vorreden hielt, denen ein »aber« folgte. »Natürlich möchte ich sie beschützen. Sie ist schließlich meine Tochter«, sagte er.
»Dann sagen Sie ihr die Wahrheit.«
»Moment …«
»Kinder spüren immer, wenn sie von ihren Eltern belogen werden«, sagte Brendan.
John warf ihm einen vernichtenden Blick zu – wie konnte sich dieser Grünschnabel, den er überdies kaum kannte, eine solche Bemerkung anmaßen? Doch die Wut, die in ihm aufstieg, verrauchte ebenso schnell, wie sie gekommen war. Das Mitleid in Brendans Augen – viel zu tief und zu lange verwurzelt für einen Jungen seines Alters – ließ John verstummen.
»Bei mir fing es an, als sie behaupteten, Paddy sei wegen einer Grippe im Krankenhaus. Ich wusste, dass mehr dahinterstecken musste, weil man ihn so lange dortbehielt. Erst als er entlassen wurde, erfuhr ich, dass er an Leukämie erkrankt war …«
»Das tut mir leid.«
Brendan nickte und fuhr fort, ließ John wissen, dass das nicht der springende Punkt war. »Sie erzählten mir, dass er nach der Chemotherapie gesund werden würde. Ich wartete, aber Paddys Zustand wurde nicht besser, sondern schlechter. Er musste das Bett hüten, konnte nicht einmal mehr spielen. Es hieß, das sei eine Folge der Behandlung, die an den Kräften zehre. Er hatte überall offene Stellen, im Mund und an den Lippen – und wenn er weinte, brannten sie von den salzigen Tränen. Sie baten ihn inständig, durchzuhalten und an die Angeltour zu denken, die wir alle zusammen unternehmen wollten, sobald es ihm besserginge.«
»Hat er gerne geangelt?«
Brendan nickte. »Für sein Leben gern. Wir hatten ein Ruderboot, mit dem fuhren wir auf den kleinen Fluss hinter dem Paradise Ice Cream hinaus, um Bonitos zu fangen. Oft waren wir so schwer beladen, dass unser Boot zu kentern drohte.«
»Vielleicht haben deine Eltern nur versucht, Paddys Leid zu lindern. Ihm einen Lichtblick zu geben, etwas, worauf er sich freuen konnte.«
»Das verstehe ich ja. Aber mich haben sie auch belogen. Sie versuchten mir weiszumachen, dass wir irgendwann wieder alle zusammen angeln gehen würden. Obwohl ich überzeugt davon war, dass er den Fluss und den Sund nie wieder sehen würde.«
»Wart ihr –«
Brendan schüttelte den Kopf. »Nein. Wir waren nie wieder angeln. Es ging ihm immer schlechter. Meine Eltern behaupteten steif und fest, das sei auf die Chemo zurückzuführen. Auf die Nebenwirkungen der starken Medikamente. Er würde bald über den Berg sein … Ich hatte eine Mordswut auf die Ärzte, weil Paddy diesen Berg nie erreichte.«
»Du solltest deinen Eltern keinen Vorwurf machen, Brendan«, sagte John ruhig. »Sie haben versucht, ihr Bestes zu tun.«
»Mag sein. Sie waren völlig aufgelöst. Sie liebten Paddy über alle Maßen. Ich auch. Dann erfuhr ich in der Schule von einem Jungen, dessen Bruder ebenfalls an Leukämie erkrankt und durch eine Knochenmarkstransplantation gerettet worden war. Ich sagte meinen Eltern sofort, ich würde Paddy Knochenmark spenden, aber sie meinten, dafür sei ich zu jung.«
»Und? Warst du das?«
Brendan zuckte die Achseln. »Ich weiß nicht. Abgesehen davon war das nicht der springende Punkt. Sie hatten Angst, dabei würde herauskommen, dass sie mich adoptiert hatten.«
»Das wusstest du nicht?«
Brendan schüttelte den Kopf. »Nein. Ich hatte keine Ahnung. Sie haben immer um den heißen Brei herumgeredet – ich musste mich an meine Tante wenden, um eine klare Antwort zu erhalten. Sie hat es mir erzählt. Das war nach Paddys Tod, und zu dem Zeitpunkt waren
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