Wie Sand in meinen Händen
seine Familiengeschichte und seine künstlerische Intuition, eine machtvolle Verbindung, eine Offenbarung in Erde und Stein.
Seine Skulptur nötigte ihr ein ehrfurchtsvolles Staunen ab, wie viele seiner Arbeiten. Sie war nicht im klassischen Sinne schön, aber inspirierend, aufwühlend und verblüffend. Sie wusste um die körperliche Anstrengung, die es ihn gekostet haben musste, Baumstämme und Äste bis zum Rand der Klippe zu schleppen, die Installation aufzurichten, sie gegen den Wind auszubalancieren und sie rundum mit schweren Felsblöcken zu sichern – bei dieser Arbeit hatte er sich Schürf- und Schnittwunden an Händen und Unterarmen zugezogen und sich die Knöchel aufgescheuert. John hatte Hände wie ein Preisboxer: vernarbt und geschwollen. Doch schien Honor oft, dass der Mensch, gegen den er am meisten kämpfte, er selbst war.
Die Skulptur ragte wie eine Burg aus der Landschaft empor, ein Abbild der Ruinen direkt gegenüber, auf der anderen Seite des Abgrunds. Sie schien mit der Erde verwachsen, als hätte sie sich schon immer an dieser Stelle befunden, um Zeugnis von seiner Familie abzulegen, die ihre Felder bestellt, Vieh auf den Weiden gehalten und während der großen Hungersnot gedarbt hatte. Er war ein Nachkomme der Waisen, die diese Katastrophe überlebt hatten, und als er mit Honor und seinen Töchtern zur Klippe gegangen war, musste sie bei dem Gedanken, was ihre Vorfahren durchgemacht hatten, die Tränen zurückhalten.
John konnte dieses Leid nachvollziehen. Er war Künstler, durch und durch. Er bündelte Kräfte, die weit über seine eigenen Erfahrungen hinausgingen – wurde eins mit den Geistern der Vergangenheit, mit den Gebeinen und Seelen derer, die gelitten und den Tod gefunden hatten. Deshalb war er allein nach Irland geflogen – um immer wieder die
Cobh Docks
aufzusuchen, auf den Spuren seiner Vorfahren, die von hier aus in die Neue Welt aufgebrochen waren, um in den Pubs zu trinken und den verstorbenen irischen Familienangehörigen mit seiner Skulptur ein Denkmal zu setzen.
Seine Schwester Bernie – Schwester Bernadette Ignatius – war vermutlich der einzige Mensch, der ihn wirklich verstand. Honor liebte ihn, aber sie begriff nicht, was ihn umtrieb, und manchmal machte er ihr Angst. Nicht, dass er die Mädchen oder sie verletzen könnte, sondern dass ihn die Ausübung seiner Kunst irgendwann das Leben kosten könnte. Der Gedanke machte sie fertig, fix und fertig.
Sie hatte sich ausgebrannt gefühlt, als sie gestern am Fuß der riesigen Installation stand; es war ein ehrgeiziges, wagemutiges Projekt, das an Tollkühnheit grenzte. Er konnte von Glück sagen, dass der Wind und das schiere Gewicht des Materials ihn nicht über den Rand der Klippe in die Tiefe gerissen hatten. Und dass die vom Sturm blank gescheuerten, entrindeten Äste ihn nicht unter sich begraben und zerschmettert hatten. Er war allein auf dieser Landzunge gewesen, und niemand wäre ihm zu Hilfe gekommen.
»Das hast du ganz alleine geschafft?«, fragte sie ungläubig, während die Mädchen die Landzunge erkundeten. Die Skulptur ragte hoch über ihnen auf – die Silhouette offenbarte, was ihr vorher entgangen war, ein Kreuz an der Spitze, das nicht die Burgruinen, sondern Bernies Kapelle auf der anderen Seite des Ozeans widerspiegelte.
»Nein«, entgegnete er. »Ich hatte Hilfe.«
»Von wem? Ist Tom herübergeflogen?«
»Nein, Tom hat mehr als genug in der Akademie zu tun. Es war ein Einheimischer, ein Ire, den ich kennengelernt habe …«
Irgendetwas an der Art, wie er verstummte, veranlasste Honor, nicht weiter zu fragen. Es kam bisweilen vor, dass Wildfremde John auf seine Kunstwerke ansprachen. Sie stellten einen Schlüssel zur Seele dar – sie verkörperten das nach Höherem strebende, spirituelle, sinnsuchende Element des Menschen –, und sie sprachen viele an, denen das Leben Wunden zugefügt oder Sorgen aufgebürdet hatte. Sie erschauerte, als sie Johns Gesichtsausdruck sah: Er hatte die Lippen zusammengepresst, als wäre mit seinem Gehilfen eine Geschichte verbunden, die er ihr lieber ersparen wollte.
»Hast du die Fotos schon gemacht?«, fragte Honor.
Er schüttelte den Kopf – traurig oder bedauernd? Sein Blick schweifte über die Landzunge, wachsam, als hielte er nach einer Bedrohung Ausschau.
»Stimmt etwas nicht?« Sie bekam eine Gänsehaut.
Er zögerte. Er schaute zum Himmel empor, dann auf das Meer hinab und zu den tiefhängenden, schwarzen Wolken hinüber, die sich am
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