Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Wie Sand in meinen Händen

Wie Sand in meinen Händen

Titel: Wie Sand in meinen Händen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Luanne Rice
Vom Netzwerk:
öfter bei dir sein zu können. Die wenigen Besuche waren nur ein Tropfen auf den heißen Stein …«
    »Du bist hier eingebunden, musstest dafür sorgen, dass alles reibungslos läuft. Mach dir deswegen keine Gedanken.«
    Sie umfasste sein Gesicht mit beiden Händen. Auf ihren Wangen zeichneten sich Tränenspuren ab. Sie blickte ihm in die Augen, versuchte zu ergründen, wie es ihm wirklich ging. Bei jedem anderen Menschen hätte er sich abgewandt, aber nicht bei Bernie.
    »Du bist mein kleiner Bruder und wirst es immer bleiben. Ich würde alles für dich tun.«
    »Du hast schon genug getan. Ich weiß, wie schwer es ist, von deinem Orden die Erlaubnis für eine Auslandsreise zu erhalten. Und deine Briefe und Gebete – sie haben mich begleitet, Tag für Tag. Glaube mir, du warst bei mir, in meiner Zelle.«
    »Das war nicht genug«, murmelte sie. »Ich habe mich so hilflos gefühlt.«
    »Du hast dich um Honor und die Mädchen gekümmert, wie du es versprochen hast.«
    »Ich liebe deine Familie. Honor ist mir wie eine Schwester – so empfinde ich es zumindest. Und die Mädchen sind …« Sie unterbrach sich mit tränenerstickter Stimme. »Sie stehen mir so nahe, als wären sie meine eigenen. Gott segne sie.«
    »Bernie …«
    Sie umarmten sich abermals. Dann lösten sie sich voneinander und trockneten, wie auf ein Stichwort, ihre Tränen.
    »Du siehst kein bisschen älter aus.« Er lächelte. »Nicht die Spur.« Das war kein leeres Kompliment, sondern die Wahrheit. Ihr Gesicht war immer noch faltenlos, die Augen waren klar und strahlend und die Haarsträhnen, die unter ihrem Schleier hervorlugten, so rot wie früher.
    »Und du siehst noch genauso aus wie mein kleiner Bruder.« Sie berührte abermals sein Gesicht.
    »Aber um einiges gealtert. Ich bin alt geworden im Gefängnis, Bernie.«
    »Johnny.« Ihre Augen waren schmerzerfüllt und ließen erkennen, dass sie die Tage gleichermaßen gezählt hatte.
    »Es tut mir leid, was du alles durchmachen musstest, die Sorge um mich.«
    Sie nahm seine Hand.
    »Ich nicht, John, sondern du … du hast viel durchmachen müssen. Ich habe jeden Tag für dich gebetet. Die ganze Ordensgemeinschaft.«
    »Nonnen, die für einen Mörder beten.«
    »Hör auf damit. Du bist kein Mörder. Es war Notwehr, keine vorsätzliche Tötung. Du konntest nicht anders handeln, um zu verhindern, dass dieser arme Irre Regis verletzt.«
    »So siehst du das?«
    »Ich kenne dein Herz, Johnny.«
    »Vielleicht nicht so gut, wie du denkst.«
    Sein Herz klopfte so heftig, dass seine Rippen schmerzten. Er rief sich die Wut ins Gedächtnis zurück, die er an jenem Tag empfunden hatte, die Erinnerung, die nicht verblassen wollte: der Anblick von Greg White, der Anstalten machte, sich auf Regis zu stürzen. John dachte daran, was er mit seinen Fäusten angerichtet hatte. So schlimm es auch sein mochte, er wünschte, die Geschichte wäre an diesem Punkt beendet gewesen.
    »Ich kenne meinen Bruder«, erwiderte sie beharrlich.
    »Danke, dass du das sagst, Bernie.«
    »War Honor heute schon bei dir?«
    »Noch nicht.«
    »Agnes geht es besser. Sie ist bei Bewusstsein und ansprechbar. Um zehn wird noch eine Kernspintomographie gemacht, aber Honor meint, dass die Ärzte sehr zuversichtlich klingen. Vermutlich wird sie bald entlassen.«
    John wurde siedend heiß; Honor hatte es nicht für nötig gehalten, herzukommen und ihn davon in Kenntnis zu setzen. Er spürte, wie sich sein Hals und Gesicht röteten, und erkannte an Bernies Miene, dass es ihr nicht entgangen war.
    »Das wird schon wieder, Johnny«, sagte sie, als könnte sie Gedanken lesen. »Honor hat den Schock noch nicht ganz überwunden. Wegen Agnes, aber auch, weil du völlig unverhofft aufgetaucht bist; sie hatte nicht so bald mit dir gerechnet – keiner von uns. Das ist wunderbar, unglaublich … Aber Honor und die Mädchen werden vermutlich noch einige Zeit brauchen, um sich an den Gedanken zu gewöhnen.«
    »Tom hat mir geholfen. Er hat einen seiner Verwandten aus dem Kelly-Clan eingeschaltet, der eine vorzeitige Haftentlassung wegen guter Führung erwirken konnte.«
    »Tom liebt dich wie einen Bruder«, sagte Bernie mit ruhiger Stimme.
    »Nun, schließlich bin ich dein Bruder, und wir wissen beide, dass er alles für dich tun würde.«
    Sie stand reglos da, ohne zu nicken oder seine Worte zur Kenntnis zu nehmen. Sie sah John nur unverwandt an, als befürchtete sie, dass er wieder verschwand. »Sechs Jahre, das war zu lang. Damals ging ein

Weitere Kostenlose Bücher