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Wie Sand in meinen Händen

Wie Sand in meinen Händen

Titel: Wie Sand in meinen Händen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Luanne Rice
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als sie sah, wie sich die Miene ihrer Schwester beim Betrachten des Fotos auf dem Display der Kamera veränderte.
    »Siehst du ihn?«, fragte Agnes.
    Als sie auf die Mauer geklettert war, waren die Steine unter ihren bloßen Füßen noch von der Hitze des Tages warm gewesen. Und dann hatte sie Anlauf genommen. Sie hatte das Gefühl gehabt, als könnte sie von der Erde abheben und wie ein Engel zum Himmel fliegen. Trotz des Sternenlichts war ihr die Nacht dunkel und geheimnisvoll erschienen, und dann war das weiße Licht aufgetaucht, hatte sie eingehüllt und emporgehoben.
    »Das ist dein Nachthemd«, meinte Regis.
    »Was?«
    »Der verschwommene weiße Fleck; genau, das ist es.«
    »Du musst einem aber auch alles verderben«, sagte Agnes zitternd.
    »Agnes.« Regis nahm ihre Hand. »Vielleicht sind es Seemöwen, die du beim Eintauchen ins Wasser aufgescheucht hast. Das ist keine Vision, sondern nichts weiter als ein weißer Fleck.«
    Agnes’ Augen füllten sich mit Tränen.
    »Was hast du?«, fragte Regis besorgt.
    »Weißt du eigentlich, wie dringend ich etwas brauche, an das ich glauben kann?« Agnes brach zusammen. »Dass da jemand ist, der über uns wacht, nach allem, was passiert ist? Dad war im Gefängnis für etwas, das er nicht absichtlich getan hat … Mom wirkt völlig verloren … und du heiratest Peter …« Die Worte waren ihr herausgerutscht, ehe sie es sich versah.
    »Peter?«
    »Ja!«, sagte Agnes. Die Tränen begannen zu fließen, und ihr Kopf pochte. »Er ist deine Art von Vision, dein Engel. Jemand, den du brauchst, um die Dunkelheit zu vertreiben.«
    »Agnes.« Regis erbleichte, als ihre Schwester das Gesicht in den Händen verbarg und weinte.
    »Ich brauche die Gewissheit, dass es jemanden gibt, der uns beschützt.« Agnes schluchzte. Sie konnte den Gedanken nicht ertragen, dass Regis ihr das nahm, woran sie glaubte und was sie gestern Nacht mit eigenen Augen gesehen hatte: etwas Gutes und Geheimnisvolles, eine höhere Macht, die über ihre Familie wachte.
    Regis nahm ihre Hand. Als Agnes den Blick hob, war das Gesicht ihrer Schwester ganz nahe, Auge in Auge sahen sie sich an. »Wir beschützen uns gegenseitig. Und Peter beschützt mich ebenfalls, das stimmt. Wenn du sagst, dass auf deinem Foto die Schwingen eines Engels zu sehen sind, dann wird es wohl so sein. Was weiß ich denn schon über solche Dinge?«
    In dem Moment ging die Tür auf, und Agnes’ Herz klopfte wie verrückt. Sie ließ sich erschöpft in die Kissen sinken und versuchte, trotz der Tränen zu lächeln. Gestern Nacht hatte er versprochen, wiederzukommen, und da war er.
    »Wenn man vom Teufel spricht«, meinte Regis. »Brendan, der rothaarige Erzengel.«
    »Wie bitte?«
    »Nichts.« Regis drückte rasch Agnes’ Hand. »War nur ein kleiner Scherz unter uns.«
    »Fühlst du dich besser?« Er sah Agnes an.
    Sie nickte. »Ja. Danke.«
    »Gut zu hören. Das ist ein gutes Zeichen.«
    »Bist du heute für ihre Betreuung zuständig?«, fragte Regis.
    Brendan antwortete nicht. Er blickte Agnes mit strahlenden Augen an. Vermutlich war er ein paar Jahre älter als Regis – vielleicht zweiundzwanzig oder dreiundzwanzig. Er war annähernd einen Meter achtzig groß, schmal, hatte feuerrote Haare. Agnes hatte noch nie so klare blaue Augen gesehen und bekam eine Gänsehaut, weil sie wusste, dass sie auf ihr ruhten.
    »Brendan, Brendan McCarthy?« Regis beugte sich vor, um seinen Nachnamen auf dem Schildchen abzulesen. »Hallo? Bist du heute für die Betreuung meiner Schwester zuständig?«
    »Ah, nein. Ich habe Dienst in der Notaufnahme … dort wurde mir gesagt, dass Agnes in den sechsten Stock verlegt worden ist. Ich wollte nur sehen, wie es ihr geht. Und dir das da bringen …« Er blickte Agnes abermals an. Dann legte er ein Schneckengehäuse auf die Ablage. Sie griff danach – eine makellos geriffelte Wellhornschnecke.
    »Danke«, sagte sie. »Woher wusstest du, dass ich Schneckengehäuse liebe?«
    »Wusste ich nicht. Aber ich habe sie gefunden und sofort an dich gedacht.«
    »Hey, warst du gestern Abend am Strand?« Regis machte Anstalten, die Kamera hochzuhalten, damit er sich das Foto anschauen konnte. »Vor deinem Dienst? Ich glaube, meine Schwester hat Aufnahmen von deinen Flügeln gemacht.«
    »Regis, hör auf damit.« Agnes wurde rot.
    »Außerdem habe ich gestern Nacht eine Klette an deinen Jeans entdeckt. Die gleichen wachsen auf der Böschung am Strand …«
    »Das ist ein anderer Engel«, sagte er, das Foto

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