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Wie Sand in meinen Händen

Wie Sand in meinen Händen

Titel: Wie Sand in meinen Händen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Luanne Rice
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ich.«
    In diesem Augenblick teilte sich der Vorhang und eine Krankenschwester stand vor ihnen. Überraschung zeichnete sich auf ihrem Gesicht ab – aber nicht über Regis’ Anwesenheit, sondern beim Anblick von Brendan.
    »Was machst du denn hier?«, fragte sie verdutzt. »Ich dachte, du hättest heute Nacht frei.«
    »Ich habe meinen Dienst getauscht.«
    »Kann aber noch nicht lange her sein. Im Dienstplan stand nichts davon. Sag lieber in der Einsatzplanung Bescheid, dann kann eine von uns nach Hause gehen.«
    »Ich übernehme die Patientin.« Er blickte Agnes an.
    »Laut Dienstplan ist sie mir zugeteilt.« Die Nachtschwester runzelte die Stirn.
    »Das muss ein Versehen sein. Auf meinem Plan steht sie nämlich auch.«
    »Wie ich bereits sagte, klär das lieber mit der Einsatzplanung.«
    »Mach ich.« Brendan warf Agnes und Regis einen raschen Blick zu, als wollte er sich vergewissern, ob er die beiden wirklich alleine lassen konnte, dann folgte er der Nachtschwester nach draußen.
    »Ich schwöre, dass ich lieber hierbleiben würde.«
    »Du kannst ruhig gehen«, sagte Agnes mit schwacher Stimme. »Komm aber morgen wieder, ja?«
    »Ich überlasse dich Brendans Obhut; er wird dich hüten wie seinen Augapfel.« Regis sah Agnes in die Augen und kicherte leise. »Er hat feuerrote Haare.«
    »Und?«
    »Als wir Tee für Mom geholt haben, hat Cece mir erzählt, dass du nach einem Engel mit roten Haaren Ausschau gehalten hast. Herrgott, Ag!«
    »Das hätte sie nicht erzählen sollen«, sagte Agnes, schloss die Augen und fand das offenbar alles andere als komisch.
    Brendan kehrte zurück. Sein Lächeln und die Art, wie er sie zugedeckt hatte und sich nun neben Agnes postierte, sagte Regis, dass sie getrost gehen konnte.
    »Also dann, ich komme morgen wieder, Brendan«, sagte sie.
    »Das ist gut. Wie du bereits sagtest, deine Schwester braucht dich.«
    »Gib gut auf sie acht, ja?«
    Er nickte stumm.
    Er ließ Regis gewähren, als sie Agnes auf die Stirn küsste, dann schob er sie sanft aus der Kabine. Als Regis zurückblickte, sah sie den Saum seiner Jeans unter seinem Krankenhauskittel hervorlugen. Kletten hingen an dem groben Baumwolldrillich – sie gehörten zur gleichen Art, die auch auf dem Gelände der Akademie, an der Steinmauer wuchs.
    Regis stand im Gang des Krankenhauses, im grellen Licht der Neonröhren, und hatte das Gefühl, als wäre sie gerade Zeugin eines Wunders geworden. Sie kannte den Hang ihrer Schwester zu Visionen – was in Regis’ Augen blanker Unsinn war. Sie glaubte nicht einmal an die Marienerscheinung, die ihre Tante gehabt hatte, wie man munkelte, von ihrer Schwester ganz zu schweigen.
    Brendan war
real,
ein Mensch aus Fleisch und Blut; er war beileibe keine Vision, aber ausgerechnet heute Nacht erschien er auf der Bildfläche, als Regis ihn am meisten brauchte, für ihren eigenen Seelenfrieden. Er war ein Engel, der mit beiden Beinen im Leben stand, so viel stand fest. Da er Agnes unter seine Fittiche genommen hatte, verdiente er eine Statusaufwertung. Für Regis war er Brendan, der rothaarige Erzengel, Retter in der Not, der in der Notaufnahme wachte.
    Sie hätte ihre Schwester keinem Geringeren anvertraut.

[home]
    9. Kapitel
    D ie Flut, die während der Nacht geherrscht hatte, war der Ebbe gewichen; das Wasser reichte gerade noch bis zum Ende der Mole. Blasen- und Perltang schillerten in der Morgensonne, und Uferschnecken schmückten die glänzenden Felsen. Krebse brachten sich eilends in Sicherheit, als John durch die Gezeitentümpel stapfte.
    Er hielt die Augen offen, auf der Suche nach dem Felsen, der Schuld an allem war. Sich am Verlauf der Mauer und der Stelle orientierend, an der er Agnes auf den Strand gezogen hatte, gelang es ihm, den Bereich immer mehr einzugrenzen. Der Felsen musste gestern Nacht gut einen halben Meter unter Wasser gewesen sein. In der stockdunklen Nacht hatten die Sterne nur die Oberfläche, die Kämme der sich brechenden Wellen erhellt. Sie hatte nicht sehen können, was sich darunter befand. Dennoch, sie war an diesem Strand aufgewachsen. Hätte sie es nicht besser wissen müssen, als hier einen Kopfsprung ins Wasser zu machen?
    Er blickte zum Hügel empor – zu der Steinmauer, die sich den Abhang hinunterschlängelte, bis zum Rande der Böschung – hier wurde sie zum Wellenbrecher, der in die kleine Bucht hineinragte, um einer Bodenerosion vorzubeugen. Was hatte sie sich dabei gedacht, auf der abschüssigen Mauer herumzulaufen? Und wie war sie auf

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