Wie Sand in meinen Händen
Aufschrei durch ganz Irland, falls du dich erinnerst … Viele waren der Meinung, dass die Freiheitsstrafe unangemessen war.«
»Nun …« John wünschte, sie würde aufhören.
»John, ich verstehe immer noch nicht … werde es nie verstehen, warum du dich schuldig bekannt hast.« Bernie nahm seine Hand.
»Es gab Zeugen, die gehört hatten, wie ich ihn bedroht habe, Bernie. Ich habe ihm gesagt, dass ich ihn umbringe, und ich habe meine Drohung wahrgemacht.«
»Regis hätte vor Gericht ausgesagt, dass
er dich
angegriffen hat und nicht umgekehrt.«
»Das wollte ich Regis nicht zumuten. Oder Honor.«
»Sie hätten die Gelegenheit begrüßt, den wahren Sachverhalt zu schildern. Sie hätten sich mit Freuden für dich eingesetzt …«
»Das wollte ich aber nicht.« Seine Stimme wurde lauter. Als er ihre kummervolle Miene sah, schüttelte er den Kopf. »Tut mir leid, Bernie.«
»Schon gut, John. Du warst in großer Bedrängnis.«
Er nickte, wünschte sich, sie möge es dabei belassen. Er blickte zum Hügel hinauf – konnte nicht umhin, nach Honor Ausschau zu halten. Er hatte noch etwas zu erledigen, bevor sie kam – falls sie kam –, und es juckte ihn in den Fingern, die Arbeit fortzusetzen. Sein Blick schweifte zur Spitzhacke und zum Vorschlaghammer hinüber, was Bernie nicht entging.
»Ich wüsste gerne, was du da treibst«, sagte sie. »Aber ich habe das Gefühl, das ist eine Sache zwischen dir und diesem Felsen.«
Er antwortete nicht. Bernie stand neben ihm, mit Sandalen an den Füßen. Hoch über ihnen schwebte eine Seemöwe, schlug mit den Flügeln und ließ eine Miesmuschel auf den Felsen fallen, so dass die blauschwarze Schale zerbrach. Dann stieß sie herab und verzehrte das Fleisch.
»Verspürst du immer noch das Bedürfnis nach harter körperlicher Arbeit? Gab es davon nicht genug in Portlaoise?«
»Das ist etwas anderes.«
»Was du da treibst, sieht aber ganz so aus, als wolltest du es Sisyphus gleichtun, dem Urbild des Frevlers. Du weißt doch, die Götter hatten ihn dazu verdammt, in der Unterwelt einen Felsblock einen steilen Berg hinaufzurollen. Der Felsen war aber so schwer, dass er immer wieder ins Tal hinabrollte und Sisyphus ständig von neuem beginnen musste. Die Götter waren aus gutem Grund der Meinung, dass es keine schlimmere Strafe gibt als eine Arbeit ohne Sinn und Zweck. So heißt es bei Camus. Du musst dir keine weitere Buße auferlegen, Johnny.«
»Das ist keine.«
»Was dann?«
»Sie ist so schön.«
»Wer? Honor?«
Er nickte. Wer sonst?
»Sie wirkt unverändert. Aber man sieht, dass die Jahre nicht spurlos an ihr vorübergegangen sind. Ich sehe es in ihren Augen, an ihrer Haut … ihrer Haarfarbe. Aber es erschreckt mich nicht, sondern kommt mir ganz natürlich vor. Ich habe das Gefühl, als wäre ich die ganze Zeit bei ihr gewesen. So hatte ich mir das immer vorgestellt: Ich dachte, ich würde mein ganzes Leben an ihrer Seite verbringen.«
»Das hatten wir uns alle so vorgestellt.«
»Aber die Zeit ist nicht stehengeblieben, sie hat sich verändert, hat mich abgeschrieben. Das merke ich daran, wie sie mich anschaut.«
»Da sei dir nicht so sicher.«
Er zuckte die Schultern, blickte den Findling an. Er berührte die rote Linie – Agnes’ Blut, die Rosenquarzader. »Eines möchte ich wissen: Wie lange hat sie gebraucht, um mich zu vergessen? Oder war unsere Beziehung bereits zerbrochen, bevor ich ins Gefängnis musste?«
»Sie hat dich nicht vergessen«, erwiderte Bernie leise.
»Wird sie versuchen, die Mädchen von mir fernzuhalten?« Er verspürte ein Engegefühl in der Brust. »Sie hat mich nicht einmal wissen lassen, wie es Agnes geht. Weiß sie nicht, dass mich das fertigmacht? Sie gestern Nacht zu sehen, alle beisammen, aber nur für eine kurze Weile. Und das Wissen, dass sie hier sind, auf der anderen Seite des Hügels. So nahe. Und trotzdem habe ich das Gefühl, als wäre ich Lichtjahre von ihnen entfernt.«
»Bist du aber nicht«, entgegnete Bernie in ihrer unbeugsamen, realistischen Art. »Gib ihr Zeit. Nach der Geschichte mit Agnes hat sie ganz andere Sorgen. Ich werde dich auf dem Laufenden halten. Sie hat mich darum gebeten. Wenn du ins Krankenhaus möchtest, kannst du den Wagen des Klosters benutzen.«
»Danke, Bernie.«
»Kommst du zurecht?« Sie deutete auf das steinerne Cottage.
»Ja.«
»Ich muss wohl gar nicht erst fragen, wer es für dich hergerichtet hat.«
»Nein.«
»Thomas X. Kelly, der edle Ritter.« Sie schluckte,
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