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Wie Sand in meinen Händen

Wie Sand in meinen Händen

Titel: Wie Sand in meinen Händen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Luanne Rice
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er mit ihr einfach hier stehen bleiben könnte, die ganze Nacht hindurch.
    Als sie ihm ihre Hand entzog, sah er Beklommenheit in ihren Augen. Warum war sie gekommen, was hatte sie ihm zu sagen? Sein Herz klopfte, aber er wusste, dass er ihr zuhören musste. Ihr Blick schweifte über das Watt, dunkles Silber im Sternenlicht, und blieb auf dem Steinkreis ruhen.
    »Was ist das?«
    »Bist du hergekommen, um dir meine Arbeit anzuschauen?«
    Sie antwortete nicht, sondern ging zu dem großen Felsblock hinüber. Ein hohes, eckiges Gebilde am Rande des Wassers, ungefähr von der Größe eines Kühlschranks, mit zerklüfteten Kanten – ihre Hand glitt über die obere Fläche, das zersplitterte Gestein. John stand unmittelbar hinter ihr.
    »Was hat das alles zu bedeuten?«, fragte sie, ohne sich umzudrehen.
    »Das ist ein Steinkreis.«
    »Wie der in der Nähe von Clonakilty?«
    »In Drombeg? Ja, aber in wesentlich kleinerem Maßstab.«
    Er sah zu, wie sie die Umrisslinie des Kreises abschritt. Die kleineren Felsblöcke standen auf zwölf Uhr, auf der Böschung des Strandes, die größten befanden sich knapp unterhalb der Gezeitenlinie aus Seetang und Treibholz. Honor betrachtete sinnend die Anordnung, ihr schien die Bedeutung nicht ganz klar zu sein.
    »Die Wirkung, die ich damit erreichen möchte –«
    »Ich arbeite nicht für ein Kunstmagazin«, unterbrach sie ihn ruhig. »Ich frage dich nicht danach, wie deine Skulpturen entstehen. Ich möchte wissen, was dich bewogen hat, den Findling zu zertrümmern. Das ist Gestein aus der Eiszeit. Du hast es in einer einzigen Nacht zerstört. Was hat das zu bedeuten, John? Weißt du, wie extrem und absonderlich dein Verhalten erscheint?«
    »Honor, Agnes kam die Mauer entlanggelaufen und sprang, frei wie ein Vogel, der sich in die Lüfte schwingt; sie wollte nur im Sund schwimmen – und dann prallte sie gegen diesen Felsen, der sie um ein Haar das Leben gekostet hätte.«
    »Ich bin mir nicht sicher, was Agnes vorhatte«, murmelte Honor. »Ob sie schwimmen wollte …«
    »Was soll das heißen?«
    Honor schüttelte den Kopf, als würde er nicht verstehen, und er spürte, wie die Erbitterung Besitz von ihm ergriff, dass er kurz vor einem Wutausbruch stand.
    »Mein Gott, Honor. Ich habe das Gefühl, als wäre ich völlig aus dem Tritt geraten, was unsere Familie angeht, oder zumindest bei dir. Ich liebe euch, mehr als ich sagen kann, aber offenbar kann ich euch nichts recht machen.«
    Honor drehte sich um und sah ihn an. Ihre Augen funkelten im Sternenlicht. »Es war schlimm für die Mädchen. Die Zeit, als du weg warst.«
    »Ich weiß.«
    »Es war schlimm für uns alle. Wir konnten den Gedanken nicht ertragen, dass du dort warst –«
    »Honor, was kann ich tun?« Verzweiflung stieg in ihm auf. »Was kann ich tun, um wiedergutzumachen, was ich angerichtet habe?«
    »Ich weiß es nicht –«
    »Wenn es mir nicht gelingt, die Beziehung zwischen uns beiden zu kitten, was für einen Sinn hat das alles dann noch? Ich dachte, wenn ich dir zeige … Ich habe den Felsen zerstört wegen dem, was geschehen ist, doch nun habe ich begonnen, die Bruchstücke wieder zusammenzufügen, sie zu einem Kreis zu ordnen. Ich weiß, es ist nur eine Skulptur, ein Symbol …«
    Er trat zu ihr, nahm sie in die Arme. Er konnte nicht anders, und da sie weder zurückwich noch nein sagte, zögerte er keine Sekunde. Sie wiegten sich gemeinsam hin und her, im Rhythmus mit den Wellen, die unablässig ans Ufer brandeten, gleichmäßig wie Herzschläge. Das Wasser züngelte um ihre Knöchel, das Blut rauschte in ihren Ohren.
    »Verzeih mir, Honor.«
    »Ich habe dir längst verziehen. Ich weiß nur nicht, ob ich wieder mit dir zusammenleben kann.«
    »Was heißt das? Gibt es da jemand anderen?«
    »John. Natürlich nicht.«
    Er drückte sie fester an sich; das war eine seiner größten Befürchtungen gewesen, obwohl es ihm unmöglich gewesen war, sich Honor mit einem anderen Mann vorzustellen. Sie war so schön und hatte so viel Liebe zu verschenken – wie war es ihr gelungen, sie sechs Jahre lang in ihrem Inneren zu verschließen?
    »Außerdem musste ich an die Mädchen denken«, fuhr sie fort. »Sie brauchten mich in der Zeit doppelt. Wir haben dich alle schrecklich vermisst.«
    »Warum bist du dir dann nicht sicher, dass wir beide weiterhin zusammenleben können? Ich liebe dich, mehr denn je. Ich habe mich nicht verändert, bin derselbe geblieben.«
    »Das ist genau das, was ich befürchte«, flüsterte

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