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Wie Sand in meinen Händen

Wie Sand in meinen Händen

Titel: Wie Sand in meinen Händen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Luanne Rice
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sie.
    »Was du befürchtest?«
    Sie riss sich los, und trotz der Dunkelheit erkannte er an ihrer Miene, wie erschöpft sie war. »John, es wurde mir zu viel. Ich dachte, ich könnte damit leben, ich habe es zumindest versucht – doch was in Irland geschah, mit Regis, hat das Fass zum Überlaufen gebracht.«
    »Dein Entschluss steht fest?«
    »Das dachte ich zumindest. In der Zeit, als ich die Tage bis zu deiner Entlassung zählte, bin ich mehr oder weniger zu einer Entscheidung gelangt.«
    »Dass du dich von mir scheiden lassen willst?«
    Sie nickte. Ihm war, als hätte sie ihm einen Fausthieb in die Magengrube versetzt. Er machte Anstalten, sich umzudrehen und zu gehen, aber er stand wie angewurzelt da, kaum mehr als einen halben Meter von ihr entfernt. Verzweiflung ergriff ihn angesichts der Erkenntnis, dass ihre Ehe gescheitert war. Während der Haft hatte ihn nur der Gedanke an Honor aufrechterhalten – die Hoffnung, nach Hause zurückzukehren, wieder im Kreis seiner Familie zu sein. Nun hatte er nur noch den brennenden Wunsch, ihr zu sagen, was damals wirklich geschehen war – vielleicht würde sie ihn dann verstehen und ihre Meinung ändern. Aber er hatte sich geschworen, sein Wissen mit ins Grab zu nehmen, und er schluckte die Worte hinunter, die ihm auf der Zunge lagen.
    »Du bist entschlossen, mich zu verlassen«, sagte er benommen.
    Sie schüttelte den Kopf. »Das war ich, bis ich dich wiedersah«, erwiderte sie kaum hörbar.
    »Was?«
    »Ich hatte mich mit einem Rechtsanwalt in Verbindung gesetzt. Er sollte die Scheidungspapiere vorbereiten und sie dir nach deiner Haftentlassung schicken.«
    »Ich habe schon verstanden, Honor. Du willst die Scheidung.«
    »Nein«, erwiderte sie harsch. »Ich
wollte.
Aber dann habe ich dich gesehen. Es ist eine Sache, sich vorzustellen, um wie viel einfacher das Leben ohne ständige Aufregungen wäre. Ohne die Sorgen – mit einem Mann verheiratet zu sein, für den die Lösung all unserer Probleme darin besteht, einen Findling zu zertrümmern. Um ihn danach wieder zusammenzufügen!«
    »Es ist nur ein Symbol.«
    »Ich brauche mehr als Symbole, John.« Ihre Stimme brach. Sie sah ihn an, ihre Blicke trafen sich. Er sehnte sich nach einem Hoffnungsschimmer, entdeckte aber nur Wut und Verzweiflung in ihren Augen.
    »Ich habe es für dich getan, Honor. Ich wollte, dass du stolz auf mich bist. Wie damals, als wir Kinder waren. Die einzige Möglichkeit, mich zu vergewissern, dass du mich wahrnimmst, bestand in meinen Augen darin, wagemutiger als alle anderen zu sein. Mochten die anderen ruhig die Eisenbahnschienen überqueren, aber wer war außer mir bereit, ins Devil’s Hole zu springen?«
    »Erinnere mich bloß nicht daran.« Sie versetzte ihm einen sanften Hieb gegen die Brust. John packte ihre Faust und hielt sie fest. Sein Herz klopfte, er musste ihr begreiflich machen, wie sehr er sie liebte, dass er alles tun würde, um sie zu halten.
    »Ich bin auf den Wasserturm geklettert, um eine Flagge mit deinem Namen zu hissen«, sagte er.
    »Und ich stand unten und hatte Todesangst, dass die verrostete Leiter zusammenbrechen, dich in die Tiefe reißen würde und du dich zu Tode stürzt.«
    »Bin ich aber nicht.«
    »Damals nicht. Aber ich habe nie aufgehört, mir deswegen Sorgen zu machen. Auch als du im Gefängnis warst – jedes Mal, wenn das Telefon läutete, dachte ich, es sei dein Anwalt …« Sie schluckte, ihre Augen füllten sich mit Tränen. »Der mir mitteilen will, dass dich jemand im Gefängnis erstochen hat.«
    »Ich habe gut auf mich achtgegeben. Damit ich nach Hause zurückkehren konnte.«
    »Und ich habe jeden Tag am Strand gestanden und aufs Meer hinausgeblickt, nach Osten. Ich stellte mir vor, wie das Wasser aus dem Long Island Sound in den Atlantik floss, bis nach Irland. Es war die einzige Möglichkeit, zu dir zu gelangen.«
    »Was hättest du mir gesagt?« Er musste sich zurückhalten, um ihr nicht zu erzählen, dass er die gleiche Vorstellung gehabt hatte.
    »Keine Ahnung«, flüsterte sie, aber er glaubte ihr nicht. Er sah, wie sie fieberhaft nach Worten suchte. Ihr Gesicht spiegelte eine Fülle von Gefühlen wider, die er alle zu ergründen versuchte. Er war sich nicht sicher, aber er hätte schwören mögen, Liebe darin zu entdecken.
    »Versuch es«, forderte er sie auf.
    »Wir waren durch einen ganzen Ozean getrennt.«
    »Jetzt nicht.«
    »Ich habe dich allein gelassen. In Irland. Im Gefängnis. Ich habe dich nicht mehr besucht … habe die

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