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Wie Sand in meinen Händen

Wie Sand in meinen Händen

Titel: Wie Sand in meinen Händen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Luanne Rice
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aufmerksam, sein Blick energiegeladen, wie ein Stromstoß, der sie durchfuhr.
    »Du hast Sisela gemalt«, sagte sie.
    »Wie bitte?«
    »Sisela. Das Bild auf deinem Auto.«
    Er schwieg. Der Griff um ihr Handgelenk veränderte sich, so dass er plötzlich ihre Hand hielt. Draußen war es heiß gewesen, doch hier ging ein kühler Wind. Agnes spürte ihn auf der Haut und fröstelte.
    »Zeigst du mir jetzt das Foto?«, sagte er, ohne ihre Frage zu beantworten.
    Sie nickte. Wie im Traum führte sie ihn durch das Haus, den Gang entlang zu dem Raum, den sie mit ihren Schwestern teilte. Keiner ihrer Bekannten oder Freunde hatte ihn jemals betreten – nicht einmal Peter. Doch Agnes zögerte nicht; sie hatte das Bedürfnis, Brendan zu zeigen, wo sie schlief und ihre Kamera aufbewahrte.
    »Da oben.« Sie streckte die Hand nach dem obersten Regalbrett aus. Er stand neben ihr, stützte sie, damit sie leichter an die Kamera herankam.
    Sie setzten sich auf die Kante ihres Bettes. Agnes musterte ihn verstohlen. Sie hatte erwartet, dass er neugierig sein würde; schließlich wurde man nicht alle Tage eingeladen, das Allerheiligste der Sullivan-Schwestern zu betreten. Es war angefüllt mit Dingen, die nicht für jedermanns Augen bestimmt waren: Bücher, Bilder, Poster, Wimpel, Halstücher, Schmuckschatullen, Kleider, die überall verstreut lagen. Peinlich berührt musste Agnes entdecken, dass Regis’ Halbschalen- BH aus pfirsichfarbener Spitze von ihrem Schreibtisch herunterhing und ihr purpurroter Stringtanga, achtlos beiseitegeworfen, sich an ihrer Leselampe verhakt hatte. Doch Brendan hatte nur Augen für die Kamera.
    »Ist das Foto gespeichert?«, fragte er.
    »Ja.« Sie vergewisserte sich, dass der Akku geladen war, dann schaltete sie die Kamera ein. Brendan sah über ihre Schulter gebeugt zu, wie sie die einzelnen Aufnahmen durchklickte: die grinsende Cece, Regis und Peter winkend, Sisela auf der Fensterbank, Honor an ihrer Staffelei und …
    »Das ist es«, sagte sie, als der weiße Fleck sichtbar wurde. Sie reichte Brendan die Kamera.
    Er hielt sie in beiden Händen, die merklich zitterten. Sie streckte die Arme aus und legte ihre Hände beruhigend über seine. Sein Blick war aufmerksam, der Mund halb geöffnet. Er starrte das Foto an, den weißen verschwommenen Flecken. Als er sich näher über die Kamera beugte, entdeckte Agnes plötzlich etwas, das ihr vorher entgangen war – ein Profil, die Andeutung eines Gesichts in dem weißen, nebelhaften Gebilde.
    »Das sieht aus wie –« Seine Stimme klang aufgeregt.
    »Ein Engel, oder?«
    »Ich wollte sagen, wie … das Meerungeheuer der Kellys, das sich aus der Gischt erhebt.«
    »Das Kelly-Meerungeheuer?« Agnes dachte an Toms Wappenring. Brendan gab ihr die Kamera zurück, doch sie glitt Agnes aus den Fingern und krachte auf den Boden. Sie schnellte vor, um sie aufzufangen, dabei rutschte ihr die Kappe vom Kopf.
    Agnes hob die Kamera auf und sah, dass das Display einen Sprung hatte.
    »Oh nein!« Sie bedeckte ihren Kopf mit beiden Armen, verdeckte die hässliche, kahlrasierte Schneise und den Verband.
    »Was ist?«
    »Schau mich bitte nicht an«. Sie brach in Tränen aus. »Ich sehe grässlich aus.«
    »Tust du nicht. Du bist hübsch. Und abgesehen davon habe ich dich schon einmal so gesehen. In der Notaufnahme, wo ich dich betreut habe, erinnerst du dich?«
    Agnes senkte den Kopf und ließ ihren Tränen freien Lauf. Am liebsten wäre sie vor Scham im Boden versunken, zum einen wegen ihres Aussehens und zum anderen, weil sie nicht registriert hatte, dass ihm der Anblick vertraut war; außerdem fühlte sie sich am Boden zerstört, weil sie ihre Kamera beschädigt hatte. Falls Brendan darüber enttäuscht war, dass er das Bild nicht genauer in Augenschein nehmen konnte, ließ er es sich nicht anmerken. Im Gegenteil, er schien zu strahlen – seine Augen leuchteten und sein Lächeln war heiter und liebevoll.
    »Sie wachsen nach. Die Haare.«
    »Es ist nicht nur das«, schluchzte sie. »Die Aufnahme ist hin. Das einzige, echte Foto von einem Engel, das jemals gemacht wurde, und nun ist es weg.«
    »Zuerst dachte ich, es wäre ein Ungeheuer«, murmelte er.
    »Das kann nicht sein. Dafür war es viel zu schön …«
    »Ich glaube, manchmal sind Ungeheuer und Engel ein und dasselbe.« Brendan legte den Arm um sie und strich ihr die Haare aus den Augen. »Außerdem besteht kein Grund, deswegen den Kopf hängen zu lassen. Und verloren ist das Bild auch nicht.«
    »Woher weißt du

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