Wie Sie reden, damit Ihr Kind zuhoert und wie Sie zuhoeren, damit Ihr Kind redet
Warum sollte er auch? Seine Mama hat im Augenblick ja nur Augen für die Tomaten, die sie in einer Tonschüssel stapelt.
Also schnappt sich Stefan das schnurlose Telefon und benutzt das Sofa unüberhörbar als Trampolin.
»Stefan, was hast du jetzt schon wieder angestellt?«, schallt es aus der Küche. »Hör sofort auf damit! Spiel mit deinen Autos!« Und der Klang von Manuelas Stimme wird immer lauter.
Stefan benutzt jetzt den Hörer als Auto und fährt damit auf dem Teppich herum. Und in null Komma nichts hat er den Wohnzimmerboden mithilfe diverser Gegenstände aus dem Regal in eine Chaos-Piste verwandelt.
»Bist du denn total verrückt geworden?«
»Stefan, was machst du denn da?«, ruft seine Mutter aus der Küche. Jetzt kommt sie angelaufen.
»Stefan Autofahrn, brrrim, brimm, brimmm!«, ruft er stolz und flitzt mit dem Telefon über den Teppich.
»Bist du denn total verrückt geworden? Gib das sofort her!«
Entsetzt reißt Manuela ihm den Hörer aus der Hand. Stefan fängt an zu weinen. Aus dem Telefon hört Manuela eine Stimme: »Ja, hallo, hier ist der Rettungsdienst. Wo ist der Notfall? Geben Sie Ihre Adresse an.«
»Äh, danke nein, das ist ein Irrtum«, stammelt Manuela ins Telefon und bricht das Gespräch ab.
Stefan weint lauter. Manuela hält ihm den Hörer unter die Nase. »Ich habe dir schon tausendmal gesagt, das ist kein Spielzeug!«
Und während Stefan immer lauter schluchzt, ist es Manuela plötzlich, als ob sie neben sich stehen und sich zuschauen würde. Und was sie da sieht, das erschreckt sie: Eine aufgeregte Mutter redet viel zu laut in einem fort auf ihren kleinen Sohn ein und hält ihm ellenlange Vorträge über Dinge, die er eigentlich gar nicht verstehen kann. Und jetzt verschwindet Manuela auch noch in der Küche und poliert die Tomaten. Dabei schreit sie immer weiter, so laut, dass es Stefan im Wohnzimmer auch sicher hören kann: »Pass auf! Lass das! Fass das nicht an! Hör sofort auf damit! Hörst du! Sofort! Räum endlich auf!«
»Mama, hinschauen!«
Doch plötzlich hält Manuela inne – und es fällt ihr wie Schuppen von den Augen: Warum sollte Stefan tun, was sie sagt, wenn sie sich noch nicht einmal die Zeit nimmt, ihn richtig wahrzunehmen? Sie geht zu Stefan und nimmt ihren immer noch weinenden Sohn auf den Schoß und wiegt ihn hin und her. Dann räumt sie mit ihm zusammen all die Sachen weg, die er auf dem Wohnzimmerteppich verteilt hat. Und von dem Tag an ändert Manuela ihre Strategie. Wenn sie jetzt etwas von Stefan will, beispielsweise dass er aufräumt, nimmt sie zuerst Kontakt mit ihm auf. Sie hockt sich vor ihn hin, schaut in seine Augen und manchmal nimmt sie auch seine Hände. Dann hält sie keine ellenlangen Vorträge, sondern formuliert einen knappen Satz und sagt ihm klar und deutlich: »Stefan, ich möchte, dass du aufräumst.«
Meistens klappt das. Manchmal ruft sie auch aus der Entfernung nur ganz deutlich: »Stefan!« Dann weiß er Bescheid, und meistens hält er sich auch an die Absprache. Und wenn nicht, dann weiß Manuela, es geht ihm gar nicht ums Aufräumen, sondern er will mit ihr einen Machtkampf ausfechten. Manuela fühlt sich selbst mit dieser Strategie wohler. Denn das ewige Labern hatte sie auf die Dauer zermürbt. Und Manuela bemerkt, dass das auch Auswirkungen auf ihre Beziehung zu ihrem Stefan hat. Auch er wird klarer. Früher erpresste er sie immer wieder, versuchte, sie mit Tränen zu nötigen. Jetzt ist er eindeutiger, sagt klar: »Ich will das! Ich möchte das!« Und jetzt ertappt er auch Manuela, wenn sie wieder in ihre alte Rolle fällt, wie neulich, als Stefan seiner Mutter seine neu gelegte Eisenbahnstrecke vorführen wollte. Manuela war gerade in eine Zeitschrift vertieft. Voller Stolz fing Stefan an zu erklären, wie er die Brücke über die Bahn gebaut hatte. Und Manuela antwortete fast automatisch: »Ja schön, Schatz!«, ohne genau hinzusehen. Da kroch Stefan auf ihren Schoß und drehte den Kopf seiner Mutter zuerst in seine Richtung: »Mama, hinschauen!«, sagte er. Und dann drehte er ihren Kopf in die Richtung seiner Brücke: »Da ist die Brücke!«
»Wenn die Sprache nicht stimmt, so ist das, was gesagt wird, nicht das, was gemeint ist.«
[ Konfuzius | chinesischer Philosoph (um 500 v. Chr.) ]
Mit dem Kind Kontakt herstellen
Stefan möchte die Aufmerksamkeit seiner Mutter, wenn er mit ihr redet oder ihr etwas zeigt. Seine Mutter meint dagegen, ihre Worte müssten genügen – und selbst auf Zurufe müsste Stefan
Weitere Kostenlose Bücher