Wie Sie reden, damit Ihr Kind zuhoert und wie Sie zuhoeren, damit Ihr Kind redet
Frühstück macht?«
»Weißt du’s?«
»Na, logisch! Die macht das nur, weil sie Angst hat, sonst könnte jemand sagen, sie sei eine schlechte Mutter.«
»Also du meinst, sie macht das nicht gerne?«
»Gerne? Nie im Leben! Sie sollten sie mal erleben! Ich bin schon morgens gut drauf. Ich lache, ich pfeife. Aber meine Mutter! Hexe hoch drei. Augen wie Knopflochschlitze, ein aschfahles Gesicht. Echt! Der absolute Morgenvampir! Dracula ist ein Dreck dagegen.«
Christoph Stadtler zieht ungläubig die Augenbrauen hoch. »Ist es wirklich so schlimm?«
»Schlimmer!« Oliver redet sich in Rage, läuft aufgewühlt auf und ab.
»Ich hab ihr schon tausendmal gesagt, sie braucht mir kein Frühstück zu machen. Aber sie macht es! Jeden Tag wieder aufs Neue! Und jeden Tag läuft dasselbe Spielchen ab.« Er stockt kurz.
Der Lehrer sieht ihn aufmunternd an.
Oliver spielt die Szene nach. »Also, ich komme in die Küche, lächle, pfeife fröhlich vor mich hin, sage freundlich: ›Guten Morgen!‹ Und meine Mutter …«
Er ahmt sie nach, indem er spitze, zusammengekniffene Lippen formt und die Augen schmal werden lässt, bevor er ein muffeliges »Morgen« grummelt.
»Ich sag dann ganz ruhig: ›Hast du was?‹«
»Nein!«, imitiert er seine Mutter und schreit es förmlich hinaus.
Christoph Stadtler zuckt zusammen.
Oliver lacht ihn an. »Aber ich geb ihr noch eine Chance!«
»Und wie sieht die aus?«, will der Lehrer wissen.
»Ich frage: ›Hast du wirklich nichts?‹ – ›Nein!‹, faucht sie dann zurück.«
Oliver schüttelt den Kopf. »Das geht einem echt auf den Keks!«
»Und deswegen flippst du dann aus?«
»Ich erlöse meine Mutter«
»Ne, Herr Stadtler, so kann man das nicht sagen.« Oliver lächelt verschmitzt. »Ich erlöse meine Mutter.«
Irritiert schaut der Lehrer ihn an.
»Tja!«, fährt Oliver fort, »ich nerve drei Minuten, nörgele über den kalten Kakao, die zu süße Marmelade, die harte Butter. Und sie fängt an, innerlich zu kochen.« Oliver strahlt. »Und plötzlich platzt sie und brüllt in der Küche rum. Und ich denke: ›Siehst du, Oliver, hast wieder recht gehabt: Sie ist heute schlecht drauf! ‹ «
»Du kannst ja richtig fies sein!«
»Nein, Herr Stadtler, nicht fies. Aber warum müssen es uns die Eltern so schwer machen? Wenn ich frage: ›Hast du was?‹, braucht Mama doch nur kurz zu antworten: ›Mir geht’s nicht gut!‹«
Kinder fordern authentische Eltern
Oliver hat genau erkannt, wie es seiner Mutter wirklich geht – und er piesackt sie so lange, bis »sie platzt«. Heranwachsende finden es scheinheilig und unehrlich, wenn ihre Eltern ihnen etwas vormachen. Und es ist bezeichnend, dass Oliver dafür sogar in Kauf nimmt, dass seine Mutter »rumbrüllt«. Zumindest passt diese Ausdrucksweise besser zu ihrer Stimmung als die Behauptung, es sei nichts. Dass Oliver meint, er ERLÖSE seine Mutter ja nur (von dieser Lüge), ist bezeichnend.
Gandhi hat einst sinngemäß formuliert, Kinder seien die wirklichen WEISHEITSLEHRER auf der Welt. Und Weisheit hat er definiert als Geduld, Geduld als etwas, das man immer und immer wieder üben müsse, so lange eben, bis man weise sei. Und Gandhi fügte dann sehr hintersinnig, wahrscheinlich weise lächelnd an: Genauso wären Kinder, sie handeln manchmal so lange, bis sie das Gefühl haben, ihre Eltern auf dem Weg zur Weisheit zu begleiten. Und wir setzen dieser philosophischen Erkenntnis hinzu: Wenn Sie irgendwann schreien müssen: »Muss ich’s dir noch zehnmal sagen!«, dann sind Sie auf dem Weg zur Weisheit, weil Sie immer wieder üben. Das ist die Chance, eingefahrene Gleise zu verlassen, in den Spiegel, den Ihre Kinder Ihnen vorhalten, zu schauen und zu verstehen.
»Es gibt drei Wahrheiten : meine Wahrheit, deine Wahrheit und die Wahrheit .«
[ Chinesisches Sprichwort ]
»Wo hat er bloß diese
Ausdrücke
her?«
Wenn Kinder Neues kennenlernen, wollen sie es ausprobieren und herausfinden, wie ihre Eltern darauf reagieren. Sind die Reaktionen nicht klar und eindeutig, testen sie es so lange, bis die Eltern deutlich Stellung beziehen – wenn nötig, auch indem sie laut werden. Heranwachsende suchen so HALT UND ORIENTIERUNG . Bei kleinen Kindern lässt sich das anschaulich an den ersten Schimpfwörtern zeigen, die sie im Kindergarten oder in der Grundschule aufschnappen: Mal sehen, was passiert, wenn ich das sage …
Kraftausdrücke faszinieren Kinder besonders, mit ihnen und über sie testen sie Grenzen sowie die Gültigkeit von
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