Wie Sie reden, damit Ihr Kind zuhoert und wie Sie zuhoeren, damit Ihr Kind redet
dies.
Nele testet ihre Mutter
Nele, zwölf Jahre alt, kommt in einem kurzen Rock und grell geschminkt ins Wohnzimmer. Sie hat sich fertig gemacht, um sich mit einer Freundin zu treffen.
»Wie siehst du denn aus?«, platzt es aus der Mutter heraus.
»Wieso?«, fragt Nele gelangweilt.
»Du siehst unmöglich aus!«, ruft die Mutter.
»Ich finde mich klasse!« Nele zuckt mit den Schultern.
»Wie eine Nutte!« Die Mutter klingt empört.
»Mama, du bist peinlich und altmodisch!« Neles Stimme wird schärfer.
»Was heißt hier peinlich?« Die Mutter schüttelt den Kopf. »Ich bin bestimmt nicht peinlich. Und schon gar nicht altmodisch!«
»Was willst du von mir?« Nele runzelt die Stirn.
»So gehst du nicht aus dem Haus!«, ruft die Mutter. »So nicht!«
»Das wollen wir doch mal sehen«, kontert Nele trotzig. »Oder wohne ich in einem Gefängnis?« Sie dreht ab und verschwindet wortlos in ihrem Zimmer.
Welches Ohr hört was?
Die Mutter eröffnet das Gespräch mit der Frage »Wie siehst du denn aus?«, die zwar die Sache – die Kleidung und Schminke der Tochter – thematisiert, aber wohl eher eine Selbstmitteilung (»Ich finde, du siehst unmöglich aus!«) oder einen Appell (»Ich will nicht, dass du so das Haus verlässt!«) beinhaltet.
Nele hört zunächst die Sachebene, was ihre Nachfrage verdeutlicht (»Wieso?«), und wechselt dann auf das Beziehungsohr, indem sie sich verteidigt und ihre Mutter heftig kritisiert. Auf diese Weise entsteht ein MACHTKAMPF zwischen Mutter und Tochter, und am Ende bleibt eine ratlosohnmächtige Mutter zurück.
Mit dem Modell »Hören mit vier Ohren« kann die Mutter das außer Kontrolle geratene Gespräch nachträglich analysieren. So kann sie den Faden hinterher noch mal aufnehmen und mit ihrer Tochter ruhig über den Streit reden. Dabei kann die Mutter mit einer Selbstmitteilung anmerken, dass sie sich Sorgen macht, wenn ihre Tochter so das Haus verlässt. Mit einem Appell könnte sie ihre Wünsche artikulieren (»Ich möchte, dass du dich anders kleidest!«), und auf der Beziehungsebene kann sie auf die emotional geäußerten Vorwürfe eingehen. (»Das Wort ›Nutte‹ nehme ich zurück, entschuldige. Aber peinlich und altmodisch bin ich auch nicht!«) Die Mutter würde so ein Modell vorleben, an dem sich Nele orientieren und das sie in ihr Handlungsrepertoire übernehmen kann. Dann würde Nele vielleicht sagen: »Ich finde mich mit dieser Kleidung toll« (Selbstmitteilung) Oder: »Ich möchte mal so das Haus verlassen, und ich finde es prima, wenn ich das darf« (Appell). Oder: »Ich verstehe deine Sorgen, aber ich passe auf mich auf« (Beziehung).
Bei aller Theorie möchten wir hier alle Eltern beruhigen. Viele können besser mit Kindern reden, als sie glauben, weil sie intuitiv einige GRUNDSÄTZE FÜR STREITGESPRÄCHE beherzigen. Diese finden Sie im Kasten auf der folgenden Doppelseite.
»Suche nicht nach Fehlern , suche nach Lösungen .«
[ Henry Ford | Autowerksgründer (1863–1947) ]
TIPP
10 Grundregeln für Streitgespräche
SEIEN SIE RESPEKTVOLL: Heranwachsende wollen als Personen mit einer eigenen Meinung akzeptiert und geachtet werden. Geben Sie ihnen das Gefühl, jederzeit mit Problemen und Sorgen zu Ihnen kommen zu können.
VERMEIDEN SIE ESKALATIONEN: Gespräche – gerade Auseinandersetzung über Konflikte – brauchen Zeit und eine angenehme Atmosphäre. Sollte ein Gespräch in hitzigem Streit und gegenseitigen Vorwürfen enden, nehmen Sie sich eine Auszeit, unterbrechen Sie das Gespräch, und kommen Sie nach einiger Zeit, in der beide Seiten zur Ruhe gekommen sind, wieder zusammen.
SUCHEN SIE LÖSUNGEN: Gerade bei einem Streitgespräch geht es um zukunftsorientierte Lösungen und nicht darum, in der Vergangenheit zu wühlen. Dies führt allzu häufig nur zu gegenseitigen Vorwürfen und Schuldzuweisungen.
BLEIBEN SIE BEI SICH: Machen Sie Ihre Haltung klar, aber gleiten Sie nicht in autoritäres Gehabe ab. So sind Sie kein Vorbild, sondern erzeugen höchstens Widerstand, der in einem Machtkampf endet.
HÖREN SIE AUFMERKSAM ZU: Nehmen Sie sich zurück, wenn Ihr Kind redet. Hören Sie aktiv zu, indem Sie kurz nachfragen, wenn Sie etwas nicht verstanden haben. Lassen Sie Ihr Kind ausreden, auch wenn es Meinungen äußert, die Sie nicht teilen. Fassen Sie – wenn es sinnvoll oder nötig ist – seine Ansichten mit eigenen Worten zusammen, um zu überprüfen, ob Sie Ihr Kind verstanden haben.
ÜBEN SIE ZURÜCKHALTUNG: Unterlassen Sie langatmige Vorträge
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