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Wie soll ich leben?

Wie soll ich leben?

Titel: Wie soll ich leben? Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sarah Bakewell
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und meistens liebe ich es, die Dinge hierbei von einer ungewöhnlichen Seite her in den Griff zu nehmen.
    Letzteres ist unbestreitbar wahr. Bereits die ersten Kapitel nehmen gewundene Wege, um ihr Thema einzukreisen, eine Tendenz, die sich in den Essais der 1580er Jahre noch verstärkt. «Über Wagen» beginnt mit Bemerkungen über große Autoren, dann plaudert er ein bisschen über das Niesen und kommt zwei Seiten später endlich auf sein Thema zu sprechen – nur um sich fast sofort wieder woandershin zu wenden und den Rest des Kapitels über die Neue Welt zu schreiben. «Über die Physiognomie» behandelt das Thema anhand einer unvermittelten Bemerkung über die Hässlichkeit des Sokrates – aber erst nach zweiundzwanzig Seiten eines Essai , der (in der englischen Übersetzung von Donald Frame) insgesamt nur achtundzwanzig Seiten lang ist. William Thackeray meinte im Scherz, Montaigne hätte die Titel seiner Essais beliebig vertauschen können oder sie «Über den Mond» oder «Über Frischkäse» nennen können, es hätte kaum einen Unterschied gemacht. Montaigne selbst gibt zu, dass die Titel der Kapitel in keinem klaren Zusammenhang zu deren Inhalt stünden: «Oft bezeichnen sie ihn nur durch ein bestimmtes Merkmal.» Wenn kein logischer Zusammenhang ersichtlich sei, werde sich «in irgendeiner Ecke stets ein Wort finden». In den «Worten in der Ecke» verstecken sich häufig seine interessantesten Themen. Montaigne bringt sie im Text genau da unter, wo sie den Fluss radikalunterbrechen, alles durcheinanderbringen und es dem Leser unmöglich machen, der Argumentation zu folgen.
    Montaignes Essais präsentierten sich anfangs als eher konventionelles Werk: als Blütenlese aus dem Garten der großen klassischen Autoren, ergänzt durch Reflexionen über Diplomatie und Kriegsethik. Wenn man jedoch das Buch aufschlägt, verwandelt es sich wie eine Figur aus Ovids Metamorphosen in etwas vollkommen anderes. Das einzig verbindende Element ist Montaigne selbst. Ein größerer Verstoß gegen die Konvention ist kaum vorstellbar. Das Buch ist nicht nur monströs, es erhält seine Geschlossenheit einzig durch das, was bescheiden in den Hintergrund hätte treten sollen: das Subjekt Montaigne. Er ist das Gravitationszentrum der Essais , das im Laufe der Zeit immer mehr an Kraft gewinnt, ergänzt durch immer neue Varianten, befrachtet mit zusätzlichem Gepäck, Exkursen und Abschweifungen.
    Die 1570er Jahre waren Montaignes erste bedeutende Schreibdekade, die 1580er Jahre wurden seine große Dekade als Autor. In diesen zehn Jahren verdoppelte sich der Umfang der Essais , und aus dem Nobody Montaigne wurde ein Star. Er verließ sein Refugium in der ländlichen Guyenne und unternahm eine lange Reise durch die Schweiz und Deutschland nach Italien, er wurde Bürgermeister von Bordeaux und zu einer öffentlichen Person. Es waren kräftezehrende Jahre, in denen sich seine Gesundheit zusehends verschlechterte. Diese Jahre machten ihn zugleich zu einer Gestalt, die die Zeiten mühelos überdauert hat.
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Frage: Wie soll ich leben?
Antwort: Schau dir die Welt an!
Reisen
    Der Erfolg der ersten Ausgabe der Essais im Jahr 1580 muss Montaignes Blick auf das Leben verändert haben. Die Anerkennung entriss ihn der Alltagsroutine und gab ihm das Gefühl, es sei an der Zeit, das Leben von einer anderen Seite kennenzulernen und sich wieder mehr auf die Welt einzulassen. In den Essais steht nicht viel darüber, aber vielleicht reizte ihn der Gedanke einer diplomatischen Karriere, und er fand, die beste Art, sich darauf vorzubereiten, bestehe darin, sich international zu vernetzen. Die Führung der Güter konnte er getrost seiner Frau überlassen. Montaignes Reiselust, um den «ewigen Wandel der Erscheinungsformen unsrer Natur» zu erkunden, war nicht neu. Schon als Kind hatte er eine «tüchtige Neugierde» auf die Welt und wurde auf alles aufmerksam: «auf ein Gebäude, einen Springbrunnen, einen Menschen, ein altes Schlachtfeld, den Ort, an dem Caesar oder Karl der Große vorbeikam». Jetzt stellte er sich vor, in den Fußstapfen der von ihm bewunderten antiken Philosophen zu wandeln, um sein «Gehirn an ihrem reiben und verfeinern» zu können.
    Es gab noch einen weiteren, weniger glanzvollen Grund für seinen Aufbruch. Von seinem Vater hatte er die Neigung zu Nierensteinen geerbt. Nachdem er Pierre vor Schmerzen buchstäblich hatte kollabieren sehen, fürchtete er diese Krankheit mehr als jede andere.

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